Feuergeist aus der Kälte

CAMERATA SALZBURG / TEODOR CURRENTZIS

11/10/16 Zu den „interessantesten Künstlern“ ihrer Generation gehören im Sprachgebrauch für die Textgattung „Künstlerbiografie“ so gut wie alle Vertreter eines Faches. Tatsächlich einer der aufregendsten Dirigenten, die derzeit die Klassikszene und darüber hinaus aufmischen, ist Teodor Currentzis.

Von Heidemarie Klabacher

Der gebürtige Grieche hat in Russland studiert, war Musikdirektor in Novosibirsk und heute der künstlerische Leiter der Staatsoper und des Ballett-Theaters von Perm. Die von ihm noch in Novosibirsk gegründeten Instrumental- und Vokalensembles „MusicAeterna“ sind inzwischen Orchester und Chor der Permer Staatsoper. Zudem mischen sie die Festivials und Konzertbühnen zwischen d’Aix-en-Provence und Wiener Musikverein auf.

Dieser Tage begeisterte Teodor Currentzis zusammen mit der Camerata Salzburg die Szene: so etwa beim Konzert im Wiener Konzerthaus (wo Teodor Currentzis zusammen mit seinem Ensemble MusicAeterna die Konzert-Saison eröffnet hat) und zuletzt im Großen Saal des Mozarteums beim ersten Abo-Konzert der Camerata.

DrehPunktKultur war im Sonntagvormittagskonzert (9.10.). Auf dem Programm standen Richard Wagners „Siegfried-Idyll“, Benjamin Brittens Serenade für Tenor, Horn und Streicher op. 31 und Felix Mendelssohn Bartholdys Symphonie Nr. 4 A-Dur op. 90, sprich die “Italienische”.

Teodor Currentzis und die Camerata Salzburg entführten mit den ersten Streicherklängen des „Siegfriedidylls“ in durchsonnte, luftige Klänge von feinsten Pastellschattierungen. Das Präsent des Komponisten an seine Gemahlin ist ohnehin ein zartes intimes Werk. In einer so feinen und zugleich so klangfarben- und abwechslungsreichen Schwebe zwischen piano und pianissimo hat man das Werk noch nicht gehört.

Im Gegensatz zum Wiener Konzerthaus, wo der Solist Alexander Melnikov mit Beethovens erstem Klavierkonzert war, stand im Salzburger Abonnementkonzert eine Besonderheit auf dem Programm: Der englische Tenor Samuel Boden und der Salzburger Hornist Johannes Hinterholzer (Solohornist und Vorstandsmitglied der Camerata) waren die Solisten in Benjamin Brittens Serenade für Tenor, Horn und Streicher. Der Samuel Boden sang die sechs Lieder auf Texte der Größten der englischen Lyriker vom 15. bis zum 19. Jahrhundert. Er ist als „Muttersprachler“ und brillanter Textgestalter geeignet wie kein zweiter, die sprachlich so komplexen wie atmosphärisch dichten Gesänge seinen Zuhörern nahe zu bringen. Aufgetan haben sich - weit herüber über die reine Textverständlichkeit hinaus (die sich gerade bei Englischen Sängern ohnehin meist von selbst versteht) – bewegende Einblick in vielschichtige und vielfarbig ausgemalte Emotionen: von der lieblichen „Pastorale“ über die beängstigende „Elegy“ (in der der unsichtbare Wurm der Zerstörung im karmesinroten Bett der Rose nagt) und die archaische „Klage“ eines anonymen Dichters bis zum ruhelosen Schläfer im „Sonett“ von John Keats. Johannes Hinterholzer gestaltete die subtilen Soli zwischen samtigem Hörnerklang, quasi als Erzähler aus Märchenland, und der technischen Präzision des Virtuosen.

Noch in den Auftrittsapplaus hinein zündete Teodor Currentzis Mendelssohn Bartholdys „Vierte“, ließ Funken sprühen, gelegentlich metallisch-martialisch auffahren, geradezu ein Warnsignal war etwa der Hornruf im ersten Satz. Viel Aufmerksamkeit schenkte er im dritten Satz den Holzbläsern, die denn auch in größter Ruhe ihre Melodien entfalteten. Als Flugtanz exaltierter Elfen huschte der vierte Satz vorüber. Ein Erlebnis.

Geflüsterte kurze Beratung im tosenden Applaus zwischen Dirigent und Konzertmeister galt wohl der Zugabe. Man zögerte, sie angesichts des sonnigen Tages zu spielen, habe sich aber dann doch dafür entschieden: Für Arvo Pärts ruhig zwischen langen Pausen fließenden Psalom verdunkelte man den Saal – leider zur Unruhe des Publikums. Aber als weiteren Hinweis darauf, dass hier wirklich einer der „interessantesten Künstler seiner Generation“ am Werk ist: Die größte Spannung und Aufregung liege nicht im Tumult, sondern in der Stille, sagte sinngemäß, Teodor Currentzis.

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Bild: www.teodor-currentzis.com