asdf
 

Gedanken zwischen Moos, Fels und Geröll

PAUL HOFHAYMER GESELLSCHAFT / URAUFFÜHRUNGEN

08/11/16 Wenige Räume erinnern weniger an eine Kathedrale, als der große – weiße und kahle – Saal im Salzburger Kunstverein. Beim Vokalkonzert der Paul Hofhaymer Gesellschaft am Montag (7.11.) umschlossen die nüchternen Wände plötzlich einen geradezu mystischen Raum.

Von Heidemarie Klabacher

Auf dem Programm standen die Uraufführungen dreier Vokalwerke für jeweils fünf Frauenstimmen: Stefan David Hummels Stück „Ton der Zeit“ basiert auf einem Text von Christa Stierl, der vom Erwachen der Schaffenskraft, über die groben Spuren konkreten handfesten Wirkens in immer ätherischer werdende Gefilde führt. Eine packende Komposition von enormer Sogwirkung: Von den Sängerinnen der verschiednen Stimmlagen rezitierte einzelne Sätze werden untermalt von Summen oder feinen Gong- und Glockentönen und in den Schlusswendungen immer wieder „kadenziert“ von filigran ausgesponnenen Glissandi. Wenn sich die Stimme der Dichterin im „Wind des späten Herbsts“ immer mehr in Stille auflöst, fällt ein meisterhafter klassischer Choralsatz („Wer nur den lieben Gott lässt walten“) zwischen die rezitierten Zeilen. Hier mutet der Große Saal im Kunstverein in seiner Kahlheit zum ersten Mal wie ein Sakralraum an.

Herbert Grassl setzt in seinen „Pieta Bildern“ Schlagworte aus der aktuellen Flüchtlingskrise quasi in Bild und Ton gleichzeitig, so anschaulich und beängstigend sind die geflüsterten, gehauchten und – in allen Stimmen virtuos und technisch brillant – gesungenen Plattitüden aus Politikermund und Medienschund.

Die Formulierung „Unsere Grenzen sind luftdicht abgeschlossen“ lässt sich hervorragende spucken und krächzen und dient denn auch als ein verbindendes Leitmotiv. Ein Effekt, der in seinen verschiedenen Ausformungen – mit unterschiedlichsten Betonungen auf Vokal- oder Hauchlaute – den Hals zuschnürt. Seltsamerweise erweckt auch dieses Stück, das in seinen Mitteln etwa des Stimmgebrauch mit Luft- oder Atemgeräuschen ganz zeitgenössisch ist, zugleich ganz „klassische“ Assoziationen. Der mit den Textschnipseln gekonnt herausgearbeitete Gegensatz zwischen der medienwirksamen Beschwörung des „christlichen Kontinents“ und den ganz und gar unchristlichen Parolen des Abschottens und Abschiebens mag dazu beitragen: Jedenfalls erinnert das misstönige Gegeifer gelegentlich an eine ironische Verfremdung der Turbae-Chöre in den barocken Passionen: „Kreuzige, kreuzige“, rufen die Menschenmassen da im kollektiven blinden Rausch…

Dass der Geiger Frank Stadler zwischen den Werken Sätze aus der Partita I h-Moll BWV 1002 für Violine von Johann Sebastian Bach gespielt hat, mag der Assoziation zusätzliche Farbkraft verliehen haben.

„Wind kommt auf“ ist der Titel des neuen Vokalwerks von Wolfang Niessner auf einen sehr kunstvoll gebauten wohltuend abstrakten Text von Katalin Jesch. Auch Niessner setzt alle Ausdrucks- und Klangmöglichkeiten der menschlichen Stimme ein, vom Herausheben einzelner Vokale, über das Spiel mit behauchten bis zum Geräusch verfremdeten Konsonanten bis zu Koloratur und Kantilene.

Die Damen des Hofhaymer Ensembles unter der Leitung von Kai Röhrig begeisterten mit stupender Klangfeinheit bei ebenso stupender Intonationsreinheit.

Bilder: dpk-klaba

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014