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Die entsetzliche Stimme, die man Stille nennt

DIALOGE / ERÖFFNUNG / JAKOB LENZ

01/12/16 Sofaecke, Kino, Performance-Arena… Der stuck-gold-kristall-schwangere „Große Saal“ ist ein Chamäleon. Zumindest, seit die „Stiftung“ sich Gegenwart und Zukunft ebenso zuwendet, wie der Vergangenheit (das tut sie nun schon einige Jährchen). Doch noch nie war der Saal ein Seelen-Kabinett zwischen Caspar David Friedrich und Peter Pongratz.

Von Heidemarie Klabacher

Auf eine „Kammeroper Nr. 2 für Soli und Kammerensemble“ war man eingestellt, auf das beflissen eifrige Treiben von Profis bei Aufführungen zeitgenössischer Musik bei namhaften Festivals. Die Erwartung eines hochkarätigen Konzert-Erlebnisses wurde mit heraussagenden sängerischen und musikalischen Leistungen denn auch erfüllt. Zu erleben war am Mittwoch (30.11.) zur Dialoge-Eröffnung im Großen Saal des Mozarteums aber noch viel mehr: Nicht nur musikalisch, sondern auch szenisch eine opulente, beängstigende und bewegende Wanderung mit und hinab in die Abgründe einer zerstörten Seele.

Wolfgang Rihm erzählt in „Jakob Lenz“ die Geschichte des psychisch labilen mit 19 schon verstorbenen frühromantischen Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz. Dessen Krankheit war während eines Aufenthalts in einem Schweizer Sanatorium ausgebrochen und zugleich auch schon unheilbar geworden. Lenz’ Aufenthalt in dieser Klinik unter der Obhut eines aufgeklärten Sozialreformers (Johann Friedrich Oberlin), die Versuche der Familie, den Wegdriftenden „zurückzuholen“, dessen Visionen und Verzweiflung schildert der Komponist in 13 Bildern. Das Libretto von Michael Fröhling basiert auf der Novelle „Lenz“ von Georg Büchner.

„Hören sie denn nichts, hören sie denn nicht die entsetzliche Stimme, die um den ganzen Horizont schreit, und die man gewöhnlich Stille nennt?“

Diesen Horizont hat der kolumbianische Videokünstler Nieto (Louis-Ferdinand Nieto Peralta Adams, Jahrgang 1979) in das weitläufige Bühnenrund des Großen Saales eingeschrieben. Mit so farbgewaltigen wie punktgenauen Projektionen auf die vorhandenen architektonischen und dekorativen Formen und Elemente, auf die Orgel – deren mittlere Prospektpfeifen zu den Reisszähnen im Rachen des Ungeheuers werden, dass an Lenzens Seele frisst. Ein kleines schreiendes Monster taucht im Zentrum auf, präsent, ein wenig beängstigend in dem Zorn, den die Figur spürbar werden lässt. Schon im nächsten Augenblick ergeben die weiteren (projizierten) Striche die Hände und Arme zweier überdimensionaler Figuren, die das arme Monsterlein an den Händen halten: Eindrucksvoller anschaulich gemacht hat übermächtige Elternfiguren noch kein S. Freud oder C.G. Jung, als Nieto mit dieser einzigen Projektion.

Wenn Lenz im ersten Bild durchs Gebirge hetzt, wird der Bühnenhintergrund zur romantischen Postkarte. Die Romantik (als „Epoche“) freilich trägt das Abgründige schon in sich. Die Wanderer im Frack bei Caspar David Friedrich erinnern immer auch an die trostlosen „Wanderer“ bei Schubert, und nie ist man sich sicher, ob sie sich nicht doch im Abendsonnenschein von ihrem Fels hinunterstürzen werden. Das Kruzifix, das Nieto so beiläufig in die Gebirgslandschaft stellt, erinnert weniger an Trost und Erlösung, denn an die Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei. Quasi mit den Schüben der Krankheit verwandelt sich die Projektion vom stillen Sanatorium (angedeutet durch klare Strukturen wie Wände, Treppen oder Türen, in ein grellbuntes Pandämonium und unter den ruhigen Gesten des Dr. Oberlin wieder zurück...

Maxime Pascal leitet das Ensemble „Le Balcon“. Er macht die musikalischen Strukturen anschaulich wie der Regisseur und Videodesigner Nieto die psychischen. Wie Erinnerungen flirren und schweben durch die klangsinnliche Musik Wolfgang Rihms unzählige Momente aus der Klang- und Formensprache der Vergangenheit, Tänze, Madrigale oder Motetten meint man zu hören. Aber noch bevor man sie „eingeordnet“ hat, sind sie vorübergehuscht.

Der Bariton Vincent Vantyghem singt die Partie des Jakob Lenz. Ein brillantes Vokalensemble von sechs Stimmen ist seine innere Stimme, die ihn mit seiner Vergangenheit und seiner – ausweglosen – Zukunft konfrontiert. Der Bassbariton Damien Pass singt die Rolle des Mediziners Oberlin, der seinem Patienten mit Sanftheit und Empathie begegnet. Der Tenor Andrew Dickinson drängt als Abgesandter der Familie den Kranken auf Heimkehr.

Die stupende Präzision in der Übereinstimmung von Musik und Projektion, die knappe daher effektvolle gestische Performance der Sängerinnen und Sänger, die überragenden stimmtechnischen und darstellerischen Leistungen der drei Solisten und das virtuose Kammerensemble unter der musikalischen und szenischen Leitung von Maxime Pascal und Nieto: Ein Gesamtkunstwerk.

Festival Dialoge – 30. November bis 4. Dezember - das Programm zum Download
Bilder: ISM / Alex Hoerner

 

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