Eine Lanze für Busoni

DIALOGE / KAMMERKONZERT

02/12/16 Ein wahres Marathon-Konzert war das am 1. Dezember im Großen Saal des Mozarteums. Die „Dialoge“ zwischen Mozart und Busoni waren erhellend, mitunter beglückend, aber auch schlicht und einfach lang. Exquisite Musik, dies ist keine Frage. Doch sie kann ein wenig des Guten zu viel werden.

Von Gottfried Franz Kasparek

Zwei monumentale Sonaten für Klavier zu vier Händen aus Mozarts später Zeit in Wien standen am Anfang und am Ende. Zu Beginn also die symphonische F-Dur-Sonate KV 497. Kirill Gerstein, Jahrgang 1979, und der 82jährige ungarische Klavier-Grandseigneur Ferenc Rados wirken am Steinway wie Sohn und Vater. Die beiden können sehr gut und partnerschaftlich miteinander musizieren. Perlende Klanggespinste sonder Zahl verwöhnten das Ohr. Die Tiefen des Stücks kamen zum Vorschein, Geist und Witz nicht zu kurz. Und dennoch kam der Wunsch auf, das schwer auslotbare Stück nicht mit glitzernder Steinway-Brillanz, sondern mit feinen, sensibleren Hammerklavier-Farben zu hören.

Im Falle von Ferruccio Busonis Toccata aus dem Jahr 1920 passte das Instrument natürlich wie der Musik angegossen. Kirill Gerstein meißelte die ernst gefasste Virtuosität des zwischen barocker Form und dezent romantischem Ausdruck ausgewogenen Stücks perfekt aus den Tasten. Busonis zu Papier gebrachte Visionen einer „Neuen Ästhetik der Tonkunst“ erreichte er in seiner eigenen Musik ja nur annähernd, doch diese Gratwanderungen auf den Schwellen der Moderne weisen durchaus den Weg in eine neue Klassizität, welche über die Avantgarde hinweg weiter wirkt.

Busonis Geburtstag hat sich am 1. April 2016 zum 150stenmal gejährt. Die Aufarbeitung seines reichen Schaffens hält sich in Grenzen. Als zu spröd, zu wenig publikumswirksam, zu „gelehrt“ gilt das Schaffen des bedeutenden deutschitalienischen Pianisten, Musiktheoretikers und Kompositionslehrers. Immerhin stellt die Stiftung Mozarteum nun im Festival Dialoge Busonis Werk in den Kontext zwischen Mozart und Wolfgang Rihm – ein spannendes Unterfangen.

Noch am Ende des ersten Teils betrat der Geiger Guy Braunstein das Podium und erfreute mit einer spielerischen, in den Ecksätzen schelmisch vergnügten, im Andantino wundersam gesanglichen Lesart der B-Dur-Sonate KV 378 von Mozart. Dass Gerstein hier am modernen Klavier in vollkommener Übereinstimmung musizierte, beweist die Unmöglichkeit, die Frage des Originalklangs eindeutig zu beantworten.

Ein Stück wie Busonis Zweite Violinsonate in e-Moll aus dem Jahr 1898 ist zwar durchaus eine gelehrte und experimentelle Komposition, was die an Liszt orientierte Vielfalt in der Einsätzigkeit und die Bezüge zu Bach betrifft, dabei aber dennoch ein Stück emotionaler Musik. Natürlich ohne Sentimentalität – und, vielleicht ein Manko, auch ohne Sentiment. Der geradezu mittanzende Guy Braunstein kann betörend auf der Geige gleichsam singen, bringt jedoch geschärfte Konturen ebenso stimmig zum Ausdruck. Gemeinsam mit dem mitatmenden, sensibel Akzente setzenden und bei Bedarf auch auftrumpfenden Kirill Gerstein spannte er den Bogen von verinnerlichten zu drängenden Passagen, vom edlen Adagio zu den berückend abwechslungsreichen und kunstvollen Variationen über einen Bach zugeschriebenen Choral so in sich stimmig und atmosphärisch, dass sich nach einer guten halben Stunde nicht nur Belehrung, sondern auch Berührung einstellte.

Der Rezensent gesteht, dass er danach keine Lust mehr verspürte, sich noch einmal mit Mozarts vierhändiger Kunst zu beschäftigen.

Bilder: ISM /