Wechsel ist Programm und Nahrung

HOFHAYMER GESELLSCHAFT 

15/11/17 „Der Mönch und die Comtessa“: Kein Sexreport aus der Klausur, vielmehr eine musikalische Abhandlung mittelalterlicher Liebe über Generationen und Geschlechter hinweg beauftragt von der Internationalen Paul Hofhaymer Gesellschaft.                                                    

Von Erhard Petzel

Die Blockflötistin Anne Suse Enßle und der Percussionist Philipp Lamprecht haben sich das musikalische Schaffen des Mönchs von Salzburg zum Herzensanliegen gemacht. Diesmal findet man ihn in einen Rahmen gesetzt mit den rund zweihundert Jahre älteren Werken von Bernart de Ventadorns (geboren um 1130) und der Comtessa de Dia (geboren um 1160). In Marco Döttlingers Stück „das meer in meinem mund“, das im jüngsten Konzert der Hofhaymer Gesellschaft zur Uraufführung gebracht wurde, und in Hannes Kerschbaumers Stück „suru“ für Stimme, Subbassflöte und Schlagzeug verstecken sich Texte des Mönchs in zeitgenössischer Musik.

Das Spiel mit der Zeit findet sein Pendant im Raum, diesfalls also im Künstlerhaus. Das Publikum füllt zunächst einen Seitengang, wird dort vom Fidel-Spiel Susanne Ansorgs eingestimmt. Blockflöte und Drehleier stehen bereit zum Einsatz für den Klanggrund von Melodram, Begleit- und Zwischenmusik zu den altprovenzialischen Texten der Beatriz de Dia. Zwar wird das Geflüster der Liebenden auch von Cordula Stepp und Philipp Lamprecht gesungen werden, die Wechselrede machte aber zunächst deutlich, dass die Melodien zuvor rekonstruiert werden mussten.

Wechsel ist Programm. Zunächst zwischen Liedern der Comtessa und des Mönchs, dann des Ortes als Prozession rund um den Gang in den Saal zur Uraufführung. Der Text stammt zwar aus des Mönchs Textübertragung des Hymnus „Lobt all zungen des ernreichen“. Da die Sprech-Bewegungen von Lippen, Zähnen und Zunge in violett-grüner Verfärbung als Video eingespielt sind, assoziiert sich aber der Vorspann der Rocky Horror Picture-Show. So wird freilich der Hörer die Minne-Ebene auch im geistlichen Text nicht verlassen und in der Deutung der finalen Emphase der Aussageabsicht des Werks nicht ganz gerecht werden.

Jedenfalls ist das Ensemble gefordert, akkurat zu diesem Video zu agieren. Stepp und Lamprecht sprech-singen in zwei Schläuche, woraus die elektronisch manipulierte Subbassflöte ihre Luftzufuhr bezieht. Enßle darf nur klappern. Sopran und Schlagzeug wenden sich ihrem Metier zu, Döttlinger manipuliert die Klangergebnisse in der technischen Dimension. Spannend auch der Vergleich mit Kerschbaumers „suru“ am Schluss des Konzertabends. Bis auf die Elektronik gleiche Besetzung, wird hier der Sopran stimmtechnisch in höchstem Maß herausgefordert und akribisch von Subbass und Schlagwerk in seiner mehrschichtigen Führungsrolle unterstützt.

Spielerisch werden die Einrichtungs-Elemente des Saales genützt, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten von über mittelalterlichen Generationen verhandelter Zweisamkeit darzulegen. Ohne weiteren Erklärungsbedarf wird aus der Zusammenstellung der Lieder deutlich, was sich im Zugriff auf musikalische Techniken bis zum Mönch entwickelt hat. Mit „A chantar“ ertönt auch das einzige Lied der Comtessa, zu dem die Melodie erhalten ist. Höfische Musik mit Tabubruch, als die hochgestellte Dame es nicht Not hat, ihr Lyrisches Ich dem angesprochenen Du zu unterwerfen.

Ein abwechslungsreicher und bunter Abend, der mit relativ sparsamen Mitteln einen künstlerisch äußerst weiten Bogen umspannt, bei aller wissenschaftlichen Fundierung sinnlichen Reiz bietet und sein Publikum auf mehreren Ebenen bereichert. Schade, dass es keinen Videomitschnitt gibt. Wenn das Raumkonzept mit dem Publikum auch gänzlich ausgelastet war, so böte diese Veranstaltung doch der gesamten Bildungsgemeinschaft kräftigende Nahrung.