Das Pferd geht geisternd durch

STIFTUNG MOZARTEUM / STADLER QUARTETT

28/02/18 Der Knochenmann tröstet kein Mädchen mehr. Kein Vater hält einen Knaben sicher und warm, das Pferd geht geisternd durch… Das Stadler Quartett füllte am Dienstag (27.2.) den Wiener Saal nicht nur mit Klang: Frank Stadler, Izso Bajusz, Predrag Katanic und Florian Simma stürzten in Verzweiflung und lösten Glücksversprechen ein.

Von Erhard Petzel

Zum Aufwärmen gibt es Haydns Quartett Es-Dur op. 71/3-Hob.III:71. Forsch werden die Gags und Überraschungen des reifen Komponisten herausgestellt, bis dem über das so prägnante wie läppische Ratata wunderlich amüsierten Hörer die geballte Kontrapunktik der Durchführung um die Ohren fliegt. Wenn Haydn durch Gegenbürsten seiner Bewegungen aufhorchen macht, dann wirft sich das Ensemble genüsslich ins Zeug und scheut auch vor kanalisierter Brachialgewalt nicht zurück.

Wesentlich abgeklärter geht es an die Uraufführung des Abends: Das Quartett Nr. 4 „Phasen“ von Herbert Grassl. Überraschung: Das Ratata aus Haydns erstem Satz kann in das Ausgangsmotiv hineingehört werden, aus dem mit diversen Varianten vom Cello aus eine an Passacaglia erinnernde Bewegung aufgebaut wird. Kontraste oder Begleitungen ranken sich aus verschiedenen Ideen gespeist darum, bis inselhafte Ereignisse als Zwischenspiel den Fluss unterbrechen.

Die folgenden Bewegungen sind nicht bezugslos zum Ausgangsmotiv, verändern den Charakter über Betonungen und rhythmische Komponenten, sodass auch Marschanklänge nicht auszuschließen sind. Auch sie werden abgegliedert, bis ein breiter Impuls gleichmäßig in mikrotonalen Klangräumen dahinfließt. Liege- und Gleittöne paaren sich mit Melodiefloskeln in ein breit angelegtes Finale, in das etliche vorangegangene Errungenschaften eingewoben sind, bis ein eleganter Schluss dieser Coda ein Ende setzt.

Wenn auch die Tonsprache völlig anders ist, fügt sich Grassls Werk nahtlos in ein klassisches Programm ein. Sein Geschmack (eine Kategorie Haydns?) und Empfinden für formale Dispositionen befriedigen das Bedürfnis nach Entwicklung und Stringenz, nach Überraschung und Bestätigung. Eine kontrapunktische Kommunikation zwischen den Instrumenten im Wechselspiel von Paarung und sich Lösung bereitet den Hörer auf Schubert nach der Pause vor.

Schuberts Quartett G-Dur op. post. 161 D 887 aus dem Jahr 1826 ist eines der überirdischen Werke, aus dem jedes professionelle Ensemble einen beglückenden Abend zaubert. Hier waren allerdings nicht vier Musiker zu hören, die sich treffen, um Musik zu machen. Hier wurde ein Psychogramm ausgebreitet. Da geht es nicht um Pathos, Süße oder Liebreiz. Das Allegro herzzerreißend, das Andante eine Passion von Verzweiflung und Schmerz, ein gehetztes Scherzo, der jagende Schlusssatz. Der Knochenmann tröstet kein Mädchen mehr, kein Vater hält einen Knaben sicher und warm, das Pferd geht geisternd durch.

Das Zusammenspiel in Agogik, Phrasierung, und vor allem in einer psychologisch tief wirksamen Klangpalette setzt die schaudernde Seele auf einen dünnen Boden spröden Grüns, unter dem der sumpfige Abgrund droht. Und doch erhebt sich über dem Grauen der Genius des Menschen. Wer so komponiert, wer so spielt, wer das hören darf, für den hält die Welt den Wunsch bereit, sie zu umfassen. Sogar auf Husten und Räuspern zwischendurch wurde Großteils vergessen. Die Energie dafür ging stattdessen im Applaus auf.

Bild: www.stadlerquartett.at