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Ich Hund hab meinen Gott verraten

MUSIKUM / KEISER / BROCKES-PASSION

26/03/18 Als Komponist kann man auch Riesenpech haben. Mit siebzig Opern und Singspielen war Reinhard Keiser in der Bach-Zeit einer der produktivsten Schöpfer in der damaligen deutschen Opern-Hauptstadt Hamburg. Im 20. Jahrhundert hat man ihn aber einzig mit einer Markus-Passion wiedererweckt.

Von Reinhard Kriechbaum

Das große Unglück dabei: Diese Markus-Passion (eine von Bach nicht belegte Evangeliums-Nische) ist gar nicht von Keiser. Aber die „Brockes-Passion“ – mit korrektem Titel „Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus“ – hat Reinhard Keiser (1674-1739) wirklich geschrieben. Barthold Heinrich Brockes war ein honoriger Hamburger Bürger, Lokalpolitiker und Verseschmied. Zu seinem Passions-„Libretto“ haben innerhalb eines halben Jahrhunderts nach Keiser (1712) auch Händel und Telemann sowie ein Dutzend anderer Komponisten gegriffen. Auch Bach hat sich in seiner Johannes-Passion einiger Passagen draus bedient.

Dieses Werk in Salzburg erstaufzuführen, war am Freitag (23.3.) in der Großen Aula ein Verdienst von Helmut Zeilner, des Kammerchors KlangsCala und eines zum 70-jährigen Bestehen des Musikum für dieses Projekt eigens zusammengestellten „Jubiläumsorchesters“. Auch alle Solisten hat man im Kreis ehemaliger und gegenwärtiger Musikum-Schüler gefunden: eine stilistisch gediegene, schlüssige Aufführung einer Passionsmusik, die mit ihren sage und schreibe 97 Nummern Musiker wie Zuhörer in existenzielle Verzweiflung stürzen könnte.

Dass sie das im Lauf zweier Stunden auch getan hat, ist gewiss nicht den Ausführenden anzulasten. Helmut Zeilner hat mit zügigen Tempi und mit viel Know how in Sachen Aufführungspraxis das, was an Rhetorik herauszukitzeln ist, auch tatsächlich umgesetzt. Es sind ja ganz furchtbar viele kurze Arien, in denen die „Tochter Zion“ (mit wunderbarer Leichtigkeit: Marcia Sacha) und andere „Gläubige Seelen“ das Geschehen kommentieren. Bärentatzen, Löwenklauen, Basiliskenrachen, Natternbrut: Die Sprachbilder würden Brehms Tierleben entscheidend aufpäppeln. Auch die Flora und die Mineralien – „erbärmliche Rubinen, die aus geronnen' Blut auf Jesus' Stirne stehn“ – werden ergiebig ausgemalt.

In Keisers knappen Statements, meist nur vom Basso continuo begleitet, braucht's einen geradewegs fulminanten Einsatz der Cellisten. Größter Respekt vor Astrid Mielke-Sulz und Detlef Mielke, die die Solisten da drüber getragen haben. Matthäus Schmidlechner als Evangelist neigte ein wenig zum Überzeichnen, aber gerade in den Evangelistenpassagen bekommt man halt besonders gut mit, dass Reinhard Keiser und Johann Sebastian Bach mehr als eine Welt trennten. Die Christusworte (Thomas Schneider) sind bei Keiser meist in Accompagnati-Rezitative gefasst.

In den Chorpassagen zeigt sich das musikdramatische Gespür des Komponisten am ehesten: Die Ölbergszene mit dem im Dreiertakt tändelnden Chor der Jünger, das aufgebrachte „Bestrafe diesen Übeltäter“ und das „Pfui!“, das die „Mörder und Juden“ dem Gekreuzigten hinaufrufen: Das macht Effekt.

All das war also gediegen ausgearbeitet und hat der Wahrheitsfindung in Sachen Keiser und Brockes-Passion gedient, mit dem Ergebnis: Das Werk lohnt der gewaltigen Mühe nicht. Wenn schon Brockes' Text, dann unbedingt in den Varianten von Händel oder Telemann. Und wenn nicht diese beiden Komponisten und auch nicht die Passionswerke von Bach, dann haben Buxtehudes „Membra Jesu nostri“ allemal höheren Stellenwert.

Bilder: Musikum / Vogl

 

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