Singen kann Ihren Verstand benebeln

stART FESTIVAL / HYMNEN UND LIEDER DES 21. JAHRHUNDERTS

11/09/18 Hymnen sind gefährlich. Singen überhaupt kann gefährlich sein, besonders gemeinsames Singen, da es den Verstand aus- und Emotion einschalten kann. Gute „Nationalhymnen“ sind daher gefährlich – weil immer auch Propaganda-Mittel. Genau darüber kann man aber auch nachdenken – und neue Hymnen schreiben. Genau das passiert beim stART Festival 2018.

Von Heidemarie Klabacher

Neun Autorinnen und Autoren. Neun Komponistinnen und Komponisten. 18 Uraufführungen. Unter dem Motto „Hymnen und Lieder des 21. Jahrhunderts“ steht das stART Festival 2018. Neue Texte und neue Musik stehen auf dem Programm, genauer gesagt: „Hymnen und Lieder, in denen Fragen nach dem Miteinander in unserer Gegenwart verhandelt werden“. Geplant sind die drei Abende als szenisches Konzert mit neun Musikerinnen und Musikern sowie neun Sängerinnen und Sängern.

„Land der Berge, Land am Strome, Land der Äcker, Land der Dome/ Land der Hämmer, zukunftsreich! Heimat großer Töchter und Söhne, Volk, begnadet für das Schöne, vielgerühmtes Österreich, vielgerühmtes Österreich.“ Wir kennen Text und Musik. Die „hineingeschwindelten“ Töchter – und damit alle Österreicherinnen - sind vor wenigen Jahren fast in Shitstorm geraten; was allein schon zeigt, wie heikel der Umgang mit Hymnen sein kann. Aber selbst mit den „Töchtern“, ist dieser Text nicht „ohne“: „Land, Land, Land, Land, Land, Heimat, Volk, Österreich, Österreich“ kommen allein der ersten Strophe der Bundeshymne vor.

Kosowo und Serbien wollen ihre Grenzen neu ziehen, denken „Land, Land“ und nicht „Mensch". Spanien kam jahrhundertelang ohne Text aus, sondern sang seine Nationalhymne auf Silben. Der Versuch so um 2008 herum, einen Text einzuführen, ist zum Glück nach Protesten grandios gescheitert, weil er vor lauter Größe und Grandzza und Patria und blauem Himmel der Brüderlichkeit einfach nur so gestrotzt hat.

Hier hakten die Verantwortlichen des stART Festivals ein, hier zündetder Funke der brillanten Idee, über Hymnen einfach mal nachzudenken und neue schreiben zu lassen: „Trotz der Änderung des Texts nach geschlechtergerechten Prinzipien: Wenn Sprache, in diesem Falle gesungene Sprache, Denken, Handeln und Sein beeinflussen – ist dann dieses ‚Land’ nicht auch der fruchtbare Boden, auf dem gerade das Unkraut völkisch-nationalistischen Denkens wieder in voller Blüte steht?“

„Die faktische Realität sieht vielerorts dennoch und – trotz aller konservativen bis reaktionären Anstrengungen - noch immer anders aus: Ethnische, geschlechtliche, kulturelle und religiöse Diversität prägt unsere globalisierte, vernetzte Gesellschaft… Wäre gut, wenn das noch länger so bliebe.

Das Festival ist eine Koproduktion von stART, oenm und ARGEkultur und wird von der AKM unterstützt. Gemeinsam stellte man sich etwa folgende Fragen: Wie könnten Hymnen für diese pluralistische Gesellschaft jenseits von ‚Land, Land, Land’ klingen? Könnten diese Hymnen nicht vom Zwischenmenschlichen handeln statt von Staaten und Völkern? Gibt es nicht alltägliche, kleine, widerständige Dinge, die uns alle betreffen und uns genauso miteinander verbinden, egal welcher Nationalität wir angehören? Ließen sich diese Dinge nicht auch in Liedern besingen?

Birgit Birnbacher, Marko Dinic, Yamen Hussein, Markus Köhle, Elke Laznia, Niklas L. Niskate, Alexandra Pazgu, Mercedes Spannagel, Sophia Szymula, grundverschieden in Sprache, Herkunft und Alter, haben die Texte geschrieben. Komponiert haben Alexander Bauer, Johanna Doderer, Marco Döttlinger, Elisabeth Naske, Amr Okba, Josef Ramsauer, Seda Röder, Wolfgang Seierl und Shane Woodborne. Spielen wird das Österreichische Ensemble für Neue Musik. Der stART-Chor besteht aus Erin McMahon, Aleksandra Zamojska und Waltraud Nagl im Sopran, Anna Katharina Böhme und Clara Tinsobin im Alt, Klaus Eibensteiner und Christian Giglmayr im Tenor und Thomas Schneider und Alexander Steinbacher im Bass. Studierleitung hatte Klaus Eibensteiner, dirigieren wird Alexander Drcar. Für das „Szenische“ sorgt Bettina Geyer. Mitsingen wird übrigens erlaubt sein!

„Hymnen und Lieder des 21. Jahrhunderts“ stART Festival 2018 – drei Aufführungen am Freitag 21., Samstag, 22. und Dienstag 25. September jeweils um 20 Uhr -
Bilder: ARGEkultur