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Krieg. Wahnsinn. Mitleid

STIFTUNG MOZARTEUM / STADLER QUARTETT

27/02/19 Tonal. Selbstbewusst. Eigenständig. Mitreißend: Shane Woodborne „erzählt“ in seinem Streichquartett Nr. 2 vom Krieg. Seine Tonsprache ist zu gleichen Teilen zeitgenössisch, klassisch-modern und spätromantisch. Sie hält zu allen „Quellen“ kluge Distanz und reißt ihre Hörer mit stupender Energie ganz einfach hinein in Bilder und Emotionen. - Nicht mehr, aber auch nicht weniger, erwartet man von Musik.

Von Heidemarie Klabacher

So „klassisch“ in Form und Material kommen neue Streichquartette selten daher. So bewegend und mitreißend auch nicht. Das zweite Streichquartett von Shane Woodborne sollte ab sofort ins Repertoire einer jeden Formation, die auf sich hält. Gerne hätte man gleich nach der Uraufführung am Dienstag (27.2.) im Wiener Saal des Mozarteums ein da capo erlebt. Das Stadler Quartett hat sich selbst übertroffen in Sachen Virtuosität, Brillanz, Vermittlungswillen und Energieniveau.

Das gilt auch für die Wiedergaben des Streichtrios op. 49 und des Streichquartetts Nr. 8 op. 66 von Mieczyslaw Weinberg. Dessen hundertsten Geburtstages wird am 8. Dezember 2019 gedacht. Der in Warschau geborene Komponist verließ 1939 auf der Flucht vor den einmarschierenden Nazis seine polnische Heimat für immer, kam über Stationen in Minsk und Taschkent zum Studium nach Moskau und geriet dort in den antisemitischen Stalin-Terror. Dennoch habe Weinberg in 22 Symphonien, 17 Streichquartetten, dreißig weiteren Kammermusikwerken, Liederzyklen und musikdramatischen Werken „trotz allem was er erleben musste, keine Note aus Wut komponiert“, schreibt Reiner Lepuschitz im Programmheft.

Vieles erinnert an Schostakowitsch, der sich übrigens immer wieder für Weinberg eingesetzt hat. Dennoch eignet Weinbergs Schaffen eine charakteristische Klangsprache, in der vielfältig eingesetzte fiebrige Rhythmen slawischer oder, wie etwa im Fall des 8. Streichquartettes, jüdischer Tänze, die sich dramatisch steigern, für Momente wie improvisiert wirken – zumindest in der zupackenden Lesart des Stadler Quartetts und – und vorangetrieben werden von repetierten Tönen, die, etwa angeheizt vom Cello, einen mitreißenden Furor entwickeln. Und dann wieder folgen Akkorde, die alles zum Schweben bringen...

Überraschungsgast des Abends war übrigens die Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla, die kurz über die kompositorische Meisterschaft Weinbergs sprach und diesen mit Bach verglich. Das Gedenkjahr möge tatsächlich Anlass sein, künftig mehr Weinberg zu spielen. Im Gegensatz zu Bach, so Gražinytė-Tyla, hat er auch Opern geschrieben...

Beinah möchte man, von Shane Woodbornes zweitem Streichquartett als einem jungen Schwestern-Werk sprechen, wenn dieses unmittelbar auf Weinbergs Achtes folgt. Das Stadler Quartett hat das Streichquartett Nr. 2 des gebürtigen Südafrikaners, des langjährigen Cellisten und zeitweisen Geschäftsführers der Camerata Salzburg bei der Uraufführung zu einem wahren Triumph geführt.

Musikalisch basieren die vier Sätze auf tonalem Material, Dreiklängen etwa und repetierenden Intervallschritten, die Allegro, Adagio, Scherzo und Finale leitmotivisch zu einem Zyklus verbinden. Und noch immer bringt sich Schostakowitsch ironisch kommentierend in das Geschehen ein. Inhaltlich und emotional liegen dem Werk vier Gedichte des Engländers Wilfred Owen zugrunde. Diesen könnte man einen englischen Georg Trakl nennen: Owens Gedichte sind „be-greifbarer“, weniger symbolistisch als etwa das viel stärker verfremdende Grodek des Salzburgers. Owens Lyrik ist aber nicht minder bewegend und erschütternd in der Darstellung der grotesken Kriegsgräuel. Trakl nahm sich im November 1914 das Leben. Owen fiel 1918 eine Woche vor Waffenstillstand...

Aus einem schlichten Tonschritt öffnet sich für Momente eine Welt im Nichts: Das Gedicht schildert Soldaten auf dem Bahnsteig auf dem Weg an die Front. Marschieren. Marschieren. Ein „schreitendes“ Wanderer-Motiv, kehrt etwa gegen Ende wieder, erinnert für Augenblicke an Schubert. Aber nur, bis die Welt erneut in Schräglage gerät. Immer wieder entwickeln zyklisch in sich kreisende kleine und kleinste Motive eine Sogkraft, aus der es keine Fluchtmöglichkeit zu geben scheint. Geradezu brutal hingefegt ist die Hexenjagd im Finale auf peitschendem Grundschlag des Cellos: „The eternal reciprocity of tears“ ist der Titel des stupend bewegenden Werkes mit dem Shane Woodborne an den Waffenstillstandstag am 11. November erinnert. Zeitgeschichte im Klang.

Bilder: dpk-klaba

 

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