Süffiges aus dem frühen 20. Jahrhundert

KULTURVEREINIGUNG / FILHARMONIE BRNO / RUSSELL DAVIES (2)

01/10/22 Das Violinkonzert von Erich Wolfgang Korngold: Bekannter ist keines aus dem 20. Jahrhundert. Sibelius mag's uns verzeihen, aber dessen 1904 uraufgeführten Konzertschlager rechnen wir getrost noch dem 19. Jahrhundert zu. Noch ein Alleinstellungsmerkmal für das Korngold-Werk: Es gibt sonst kein Violinkonzert von einem zweifachen Oscar-Preisträger.

Von Reinhard Kriechbaum

Und damit sind wir schon mittendrin in der Eigenart dieses Stücks, dem man alles vorwerfen könnte, nur nicht, dass es „wie Filmmusik“ klinge. Es ist Filmmusik. Der Komponist hat einige seiner genialen Erfindungen für dieses Genre in sein Violinkonzert eingebracht, und er wusste warum. Der Romance überschriebene langsame Satz ist der Ohrenschmeichler schlechthin. Die Hauptmelodie war Korngold für den Film Anthony Adverse (Ein rastloses Leben) eingefallen, und dafür hatte er seinen ersten Oscar für die beste Filmmusik eingeheimst. Als das Violinkonzert 1947 in Los Angeles uraufgeführt wurde, hatte Erich Wolfgang Korngold (1897-1957) schon einen zweiten Oscar daheim stehen (für Robin Hood, König der Vagabunden, aus dem Jahr 1939). Drei weitere Male war er für den Oscar nominiert. Das Film-Metier war seine Erfolgs-Schiene und wohl auch der Grund, dass der Opern-Erfolgskomponist der Zwischenkriegszeit kein weiteres musikdramatisches Werk schrieb, nachdem er in die USA emigriert war.

Korngold kam im mährischen Brünn zu Welt, das Violinkonzert (zu hören am Freitag, 30.9., im Großen Festspielhaus) ist sozusagen Kernrepertoire der Filharmonia Brno, die nun für drei Abende bei der Kulturvereinigung gastierte. Da brauchte Dennis Russell Davies wohl nicht viel mehr zu tun als für punktliche Abläufe, für eine klagslose Synchronisation zwischen Solist und Orchester zu sorgen. Den „Sound“ haben diese Musiker so in den Genen wie die Wiener Philharmoniker den Donauwalzer. Und auch der Slowake Milan Pala hat es nicht notwendig, als Geiger mit Ton zu protzen und sich so quasi in den Vordergrund zu spielen. Die Herausforderung dieses Stücks ist, Ordnung in die melodischen Endlosschleifen zu bringen, und es war einnehmend, wie oft sich Milan Pala zurückgenommen hat, wie er immer wieder den Ton des Soloinstruments amalgamieren ließ mit den mannigfaltig sinnlichen Orchesterfarben, die seine Kolleginnen und Kollegen bereit hielten. Ja, auch mit einer knappen halben Stunde Spieldauer ist's ein Konzert-Ungetüm, hier sinnlich gebändigt und gustiös serviert.

Auch sonst Ohrenschmeichlerisches aus dem 20. Jahrhundert. Ralph Vaughan Williams (1872-1958) hat sich 1910 von einem Thema des englischen Renaissance-Meister Thomas Tallis zu einer schwelgerischen, tendenziell schwermütigen Fantasia für zwei Streichorchestergruppen inspirieren lassen. Keine Links-rechts-Effekte, die kleine Gruppe, hinter dem großen Orchester gruppiert, sorgte für feine Nach-Klänge und Schattierungen. Das war klangfein und charismatisch durchgestaltet. Bitte bei Gelegenheit mehr Vaughan Williams!

Ob man Leoš Janáčeks Taras Bulba öfter als alle zwanzig Jahre hören muss, bleibe dahingestellt: Es ist ein Stück, bei dem der tönende Slawen-Patriotismus letztlich die Janáček-Qualitäten und Originalitäten recht plakativ übertönt. Das ist wirkungsvoll, supermelodisch und steuert, nachdem allerlei Folklorismen lustvoll ausgespielt sind, einem pompös-hymnischen Ende zu. Als Musik-Beitrag zur Kriegspropaganda (entstanden als nationalistisches Statement im Ersten Weltkrieg) gebührt der dreisätzigen Orchesterrhapsodie freilich ein gebührender Platz in der Musikgeschichte. Die Filharmonia Brno hat's gebührend mitreißend gespielt.

Die Figur des Kosaken Taras Bulba, von Gogol zu literarischen Ehren erhoben, sollte uns aufhorchen lassen. Da gäb's ja die ukrainische Nationaloper schlechthin von Mykola Lyssenko. Schade, dass der Opernbetrieb zu träge ist, um kurzfristig dessen Taras Bulba zu produzieren. Das wäre ein Zeichen echter Kultur-Solidarität. Aber statt Dvořáks Konzertouvertüre Othello hätten die Ouvertüre und die eine oder andere Instrumentalnummer aus der Oper von Lyssenko gut gepasst eine hübsche thematische Klammer ergeben.

Bild: SKV / Martina Simkovicova