Wo die Liebe hinfällt

KULTURVEREINIGUNG / MOZARTEUMORCHESTER / HAHN

25/04/24 Den vorletzten Beitrag zu den Kulturvereinigung-Konzertzyklen dieser Saison steuert das Mozarteumorchester unter Gastdirigent Patrick Hahn mit Wagner und Prokofjew bei. Das Solistenduo Alexander Ullmann und Selina Ott lockerte die Tragik zweier der berühmtesten Liebespaare der Geschichte mit Schostakowitsch auf.

Von Horst Reischenböck

„Ertrinken, versinken, unbewusst – höchste Lust“ sind Isoldes letzte Worte, über den Leichnam ihres Tristan gebeugt, bei Richard Wagner, der dieses Finale übrigens statt „Liebestod“ zunächst „Isoldes Verklärung“ nannte. Als solche klar erkennbar hebt auch das dann aus den Fugen laufend ausgedehnte Vorspiel zu der ursprünglich gedacht eher „kleinen Oper“ an.

So bestimmte am Mittwoch (24.4.) vorerst längere Zeit hinweg Intimität den instrumentalen Fluss mit seinem in unendliche emotionale Höhen führend durchbrochen geführten Dialog zwischen den subtilen Streichern und der dahinter auf dem Podium im Großen Festspielhaus sitzenden Bläserharmonie. Mit kontrollierter Ekstase, fast schon unterkühlt, folgte das Mozarteumorchester den Intentionen vom Grazer Gastdirigent Patrick Hahn. Dieser junge Dirigent ist mit 26 Jahren schon Generalmusikdirektor in Wuppertal geworden, der derzeit jüngste GMD in Deutschland. Damit hat er vom Alter sogar Herbert von Karajan überflügelt.

In Dmitri Schostakowitschs Erstem Klavierkonzert op. 35 hätte ursprünglich die Trompete dominieren sollen. Erst im weiteren Entstehungsprozess mutierte das Werk zur heute bekannten Gestalt und wurde mit dem Komponisten als Pianisten aus der Taufe gehoben. Das war, bevor Schostakowitsch wegen der Oper Lady Macbeth von Mzensk im Auftrag von Stalin gemaßregelt wurde. Das Erste Klavierkonzert blieb aber auch danach eines seiner erfolgreichsten Werke. Das und die Rolle der trompete in dem Stück spielte wohl mit, dass der berühmte ukrainische Trompeter Timofei Dokschitzer mit seinem Wunsch nach einem Konzert für sich bei Schostakowitsch auf taube Ohren stieß. Stattdessen erweiterte Dokschitzer dann seinen Part auch um eine eigene Kadenz im Finale. Die 2009 posthum veröffentlichte Bearbeitung hat übrigens Hans Graf aus der Taufe gehoben.

Es ist das wohl mit Abstand aufmüpfigste und zugleich amüsanteste Klavierkonzert der Musikgeschichte. Folgt man darin aufmerksam der Konversation zwischen beiden Soli, entdeckt man in gewisser Weise auch eine Art gegenseitiger Liebeserklärung, vor allem im romantisch angehaucht ausgedehnten Lento. Österreichs Trompetendiva Selina Ott lieferte nicht nur ein optisches Glanzlicht. Erst dieser Tage in Wien für H K Gruber im Einsatz, umschmeichelte sie nach frechen Einwürfen den 33jährigen Tastentiger Alexander Ullmann mit in der Tiefe gedämpft sanften Tönen.

Der Brite wiederum durfte virtuos sein Verständnis für Brillanz und Witz weidlich austoben. Da gibt es ja Persiflagen auf klassische Vorbilder wie Joseph Haydn oder Ludwig van Beethoven, umgemünzt etwa als „Wut über die verlorene Kopeke“. Als Zugabe verströmte sich danach Selina Ott mit Ullmann, jetzt als Begleiter am Steinway, kantabel in der Bearbeitung eines Lieds von Sergej Rachmaninow.

„Nie verdarben Liebende noch so / wie diese: Julia und ihr Romeo.“ Statt solcher Worte hätte Veronas Fürst besser auf den Bann verzichtet. Dann gäbe es aber neben Opern und Filmen aber auch nicht Sergej Prokofjews grandioses Ballett. Igor Strawinsky hat der Tantiemen wegen aus Balletten „gezogene“ Suiten mehrfach uminstrument. Anders Sergej Prokofjew, er gruppierte abwechslungsreich unterschiedliche Nummern zu drei Suiten, wogegen er die Musik für ein ursprünglich von ihm eigentlich gedachtes glückliches Ende von Romeo und Julia in seine 5. Sinfonie einfließen ließ.

Patrick Hahn fügte aus dem Material einen dreiviertelstündigen „Hearer’s Digest“: Einstimmend zu Beginn die grausam aufrüttelnden Dissonanzen des Tanzes der Ritter, konterkariert durch Julia charakterisierend verspielte Lyrismen. Auf das brüsk quer zum Metrum stehende Menuett und gespenstische Maskentreiben, auf des 16jährigen Romeo erste Begegnung mit seiner 14jährigen Geliebten, auf den mit Tybalts Tod in einen der schmerz-erfülltesten Trauermärsche endenden Aufruhr folgten Abschied und am Schluss die berührende Szene am Grab. Das Mozarteumorchester durfte sich endlich wieder in Großbesetzung präsentieren, hat alles erwartungsgemäß in allen Klanggruppen, Blech- und Holzbläsern, Streichern, Schlagwerk perfekt unter Hahns präzis unaufdringlicher Diktion umgesetzt und wurde entsprechend bedankt.

Heute Donnerstag (25.4.) wird das Programm wiederholt, am Freitag (26.4.) spielt Selina Ott anstatt Schostakowitsch das Trompetenkonzert in E-Dur von Johann Nepomuk Hummel – www.kulturvereinigung.com
Bilder: www.patrick-hahn.com / Uwe Schinkel (1); MOS / Vivien Reichelt (2)