Vom Dschungel ins Serail auf die Barrikaden

KULTURVEREINIGUNG / ORQESTRA SINFONICA DE SAO PAULO

12/11/10 Am besten gefällt uns Menschen ja doch, was unseren Erwartungen entspricht. Emmanuel Chabrier lässt Spanien so richtig nach Spanien klingen. Schon die Pariser Uraufführung des Reißers „Espana“ 1883 war umjubelt, nicht weniger die Aufführung am Mittwoch im Großen Festspielhaus.

Von Heidemarie Klabacher

„Jetzt sind sie aufgewacht“, hat jemand irgendwo in der hinteren Reihe verkündet. Nicht ganz zu recht. Denn die Performance des „Orquestra Sinfonica de Sao Paulo“ unter der Leitung von Yan Pascal Tortelier war ebenso mitreißend in den Rhythmen, wie vielfarbig und brillant im Klang. Aber tatsächlich hat der Dirigent erst bei Chabries „Espana“, ein klassisches „Zugabenstück“ das ins Programm gerutscht ist, die Zügel locker und der Sehnsucht nach dem Süden allen Raum gelassen.

Maurcie Ravels „Rapsodie Espagnole“ dagegen haben die Gäste aus Brasilien beinahe mit dem Haarpinsel gemalt. Von betörender Suggestionskraft war das „Prélude à la nuit“ - eine Spährenmusik. Sie hat in dieser Lesart zu den fernsten Sternen entführt, blieb aber - durch das eindringlich leise pochende rhythmische Leitmotiv - gleichzeitig ganz fest in der sinnlich greifbaren Welt verankert. Duftig und federnd musiziert, getragen von den raffinierten  Holzbläser-Effekten, kam die „Malaguena“ daher, beinahe wie ein orientalischer Tanz die laszive „Habanera“. Einigermaßen Spanisch geht es im Finale „Feria“ zu - aber auch hier vermittelten das „Orquestra Sinfonica de Sao Paulo“ und Yan Pascal Tortelier einen Eindruck genussvoll zelebrierter elegant-klassischer Distanz.

Gar nicht distanziert - wiewohl ebenfalls in Rhythmus und Lautstärke immer kontrolliert: Heitor Villa-Lobos „Choros Nr. 6 für Orchester“ aus dem Zyklus „14 Choros“. Die „Choros“ ist typisch für brasilianische Folklore und Unterhaltungsmusik. Tatsächlich ist vom „Erwachen freundlicher Gefühle bei der Ankunft im Dschungel“ über klagende Oboen-Kantilenen bis hin zu karikaturhaften Trompetenintermezzi oder Horn-Melodien über bizarrem Streichergrund alles aufgeboten. Hoch kompliziert gegeneinander verschobene Rhythmen, zwischendurch beinahe ein Ragtime angeführt von der Klarinette, dann wieder Dschungel-Feeling: eine abenteuerliche musikalische Reise, die man nicht jeden Tag im Konzertsaal antritt.

Eine weitere Rarität: Das Intermezoo „Alvorada“ aus der Oper „lo Schiavo“ - Der Sklave - von Antonio Carlos Gomes (1836-1896), eine Art brasilianische Spartakus-Oper entstanden kurz nach Abschaffung der Sklaverei im Kolonialreich. Aus dem Dunkel zum Licht einer geradezu pathetischen Apotheose der Freiheit: plakativ, aber unglaublich wirkungsvoll aufgebaut vom „Orquestra Sinfonica de Sao Paulo“ und Yan Pascal Tortelier. Vielleicht ein Glück, dass die Oper nicht im europäischen Repertoire ist, die Begegnung mit dem Intermezzo „Morgendämmerung“ jedenfalls war ein Vergnügen.

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