„Entartete“ Musik

KULTURVEREINIGUNG / KONZERTHAUS ORCHESTER BERLIN

28/04/11 So schön hätte es weitergehen können nach Gustav Mahlers „Fünfter“. Gerade nach dem Triumph des Konzerthaus Orchesters Berlin am Mittwoch (27.4.) dünkt es unglaublich, dass nun, gleichsam nach „Halbzeit“, eine Fortsetzung bei der Kulturvereinigung ausgerechnet im Jahr von Mahlers 100. Todestag wegen angeblicher Publikumsintervention ausgesetzt wurde.

Von Horst Reischenböck

altVor fast 35 Jahren war der Klangkörper bereits zu Gast gewesen. Damals hieß es Berliner Sinfonie-Orchester und spielte unter dem legendären Dirigenten Kurt Sanderling. Der, von Leningrad zurückgekehrt, wollte sich von den Machthabern der DDR nicht zum Gegenpol zu Franz Konwitschny in Leipzig missbrauchen lassen wollte. Stattdessen baute er ein neues, junges Ensemble auf.

Für den scheidenden Chefdirigenten Lothar Zagrosek war der Abend ein Debüt im Großen Festspielhaus. Vor dem ORF-Symphonieorchester Wien hatte er in den 80er-Jahren bei den Festspielen im Kleinen Haus und in der Felsenreitschule zeitgenössische Werke maßgeblich gestaltet, inklusive der auf CD dokumentierten ersten konzertanten Aufführung von Messiaens Oper „Saint François d’Assise“. Zagroseks Tätigkeit am Landestheater schwieg sich die Programmheft-Biographie aus.

Zagrosek nahm sich nach der Wende in Leipzig „Entarteter Musik“ an, und so gelangte nun Viktor Ullmanns Klavierkonzert zur Salzburger Erstaufführung. Spät, aber doch. Ullmann studierte als Pianist bei Eduard Steuermann und assistierte später Alexander von Zemlinsky am Deutschen Theater in Prag. Als Kompositionsschüler von Arnold Schönberg wiederum wandelte er dessen Zwölftontechnik in eine persönliche Ordnung bestimmter, durchaus tonal orientierter Akkordfamilien, sodass sich keine Verständnisprobleme ergeben.

Die vier kompakten Sätze mit insgesamt zwanzig Minuten Spieldauer basieren samt und sonders auf einem Dreitonmotiv. Die anfangs perkussiven Elemente erinnern an Sergej Prokofjew, die lyrischen oder auch schrägen Momente wie Walzerphrasen im Trio des Scherzos wiederum an Versachlichung von Romantik à la Kurt Weill. Aus der Epoche heraus also bestes und dankbares Futter für Herbert Schuch, der damit seine Saison als „pianist in residence“ der Kulturvereinigung bekrönte. Ullmann bekam sein Opus 25 nie zu hören: Schuchs Interpretation hätte ihn sicher beglückt. Spontan bejubelt, führte eine Bach-Zugabe zu verinnerlichtem Gedenken an den in Auschwitz Ermordeten.

Auch Mahler galt im 3. Reich als „entartet“. Zufall: ausgerechnet jenes Werk, mit dem sein Schaffen eine neue Richtung einschlug und dem er eigentlich eine Tonartbezeichnung verweigerte, wird hier derzeit mehrfach ausgeführt, zuletzt bei den Osterfestspielen. Lothar Zagrosek hat sein Orchester mit ambitionierten Zeichen vom ersten Trompeteneinsatz weg absolut eigenständig angestachelt. Grandios in Summe das strahlende Blech, speziell dann im Scherzo stehend exponiert der hervorragende Hornsolist. Die Streichergruppe durfte sich nicht nur im berühmten Adagietto verströmen: Immer wieder widmete sich Zagrosek etwa auch voll Hingebung den satten Cello-Kantilenen. Aus einen Guss ein totaler Genuss!

Heute, Donnerstag, spielt Herbert Schuch Mozarts D-Dur-Klavierkonzert KV 451. Am Freitag ist Beethovens „Pastorale“ zu hören. - www.kulturvereinigung.com
Bild: Konzerthaus Berlin / Christian Nielinger