Keineswegs „genug“

BACHGESELLSCHAFT / UNI MOZARTEUM

24/05/12 Zu einer „Abendmusik“ mit Solo-Kantaten von Bach haben die Salzburger Bachgesellschaft, das Institut für Alte Musik und die Abteilung für Gesang der Universität Mozarteum am Mittwoch (23.5.) in die Pfarrkirche Mülln geladen.

Von Heidemarie Klabacher

altIn der Katholischen Liturgie haben die Solo-Kantaten von Johann Sebastian Bach nicht wirklich ihren Ort, und auf dem Konzertpodium hört man sie auch kaum. Umso spannender war diese „Abendmusik“ mit den Solo-Kantaten BWV 55, 82, 84 und 199: Gespielt und gesungen haben Mitglieder der Institute für Alte Musik und Gesang.

Geleitet wurden die jungen Alt-Töner von einem der Wegbereiter eines „modernen“ Zugangs zur Alten Musik: Reinhard Goebel – mit charakteristischem Mascherl – ließ Funken zünden und schlagen. Da erhebt sich geschmeidig eine gesangliche Cello-Linie und strahlt in aller Ruhe über der nicht geringen Turbulenz im Orchesterpart. Oder eine Geigen-Linie zieht für Augenblicke exklusiv in ihren Bann, bis sie sich wieder ins Gewebe der Komposition einbindet. Die vier Solo-Oboisten, drei Damen, ein Herr, haben dem musikalischen Rankenwerk der Gesangsolisten das Blattgold aufgetragen.

Mit einem Wort: Erstaunlich, mit welcher Transparenz im Sakralraum musiziert wurde. Nun hat die Müllnerkirche eine hervorragende Akustik (von der Empore kommen etwa die acapella-Gesänge der Müllner Cantorei in der Osternacht mit größter Klarheit herunter). Aber Reinhard Goebel hat die jungen Seinen gar nicht leise richtig drauflosfetzen lassen – und es war trotzdem durchhörbar. Die Sinfonia BWV 1045 mit  Chouchane Siranossian als altViolinsolistin war nach den Kantaten ein mitreißend virtuos musizierter Kehraus, nach allen Regeln der Klangrede.

Gesungen haben die Sopranistinnen Teresa Tièschky (BWV 84 Ich bin vergnügt mit meinem Glücke) und Simone Vierlinger (BWV 199 Meine Herze schwimmt im Blut), der Tenor Aco Biscevic (BWV 55 Ich armer Mensch, ich Sündenknecht) und der Bass Matthias Winckhler (BWV 82 Ich habe genug).

Simone Vierlinger ist ja keine Unbekannte. Ihre Interpretation war schlicht überzeugend und bewegend. Die Bildkraft der barocken Kantatentexte (häufig Picander, diesfalls Georg Christian Lehms) ist für heutiges Empfinden oft weniger erschreckend als tendenziell lächerlich. Aber wenn Simone Vierlinger von „der Sünden Brut“ singt, ist das keineswegs bizarr, sondern überaus bewegend. Selbstverständlich und klar deklamiert sie in den Rezitativen, und sie überzeugt in den Arien mit den klug phrasierten Linien: „Ich bekenne meine Schuld, aber habe doch Geduld, habe doch Geduld mit mir!“ Wenn das den Lieben Gott nicht gnädig stimmt.

Bild: www.reinhardgoebel.com (1); dpk-Archiv (1)