Besser selbstgebrautes Bier als Cortison

HINTERGRUND / FESTSPIELE / MEDIZIN

22/08/12 Es gibt etwas Besonderes im Salzburger Festspielhaus: Sänger, die hier auftreten, können auf die Betreuung durch einen Festspielarzt vertrauen. Das ist nicht an allen Festspielorten so. Josef Schlömicher-Thier ist nicht nur Arbeits- und Allgemeinmediziner, sondern auch ein Spezialist für Stimmen.

Von Reinhard Kriechbaum

Seit zwanzig Jahren ist er jetzt im Festspielhaus tätig, zuständig nicht nur für die akuten Notfälle bei Sängern, sondern auch für die vielfältigen Wehwehchen der Mitarbeiter hinter der Bühne. Daran fehlt es nicht, gerade im Vorfeld, wenn die Vorbereitungen für die Festspielproduktionen auf Hochtouren laufen. Und auch die Einteilung der Ärzte im Saal ist Sache von Josef Schlömicher-Thier. „Die derzeit 45 Publikumsärzte sind in einem eigenen Verein organisiert, auch die Saaldiener werden in erster Hilfe ausgebildet.“

Beim „Jedermann“ gebe es immer fünf bis sechs Einsätze, wegen der Hitze. „Das trifft das Publikum ebenso, wie Leute aus der Tischgesellschaft.“ Ein Fallbeispiel aus den letzten Tagen: Kreislaufkollaps einer Zuseherin, sie fällt aufs Gesicht, Schnitt in der Lippe, Einlieferung in die Kieferorthopädie...

So recht spektakulär wird die Arbeit des Festspielarztes freilich erst, wenn es Sänger trifft. Darüber redet Schlömicher-Thier natürlich nur äußerst zurückhaltend. Oft genug bahnten sich Probleme im Vorfeld an, und es ist Sache des Festspielarztes, gemeinsam mit dem Sänger die Möglichkeit eines Auftritts abzuschätzen. Oft wisse auch die Direktion nichts davon, „denn das Wichtigste ist die Verschwiegenheit des Stimmarztes“.

Ein Stimmversagen mitten in der Vorstellung, wie es dieser Tage bei der ersten Carmen-Vorstellung den Sänger des Escamillo getroffen hat, „das ist der Supergau“. In der Pause habe er den Sänger hinter der Bühne untersucht. „Ich habe einen kleinen Koffer mit Notfallgerät. Was sonst riesengroß ist, funktioniert hier auf Microchip-Basis.“ Im Fall der Carmen ist die Sache so gelöst worden, dass der ursprüngliche Sänger nur noch auf der Bühne gespielt, ein Kollege von der Bühnenseite aus für ihn gesungen hat.

Für die Sänger gehe es „nicht nur um Viren und Bakterien“, erklärt Josef Schlömicher-Thier, „sondern oft um die Gesamtsituation“. Nicht zuletzt habe das Befinden der Sänger viel mit Psychologie zu tun, und oft auch mit Alltäglichkeiten. „Stellen Sie sich vor: Eine Sängerin, Mutter zweier kleiner Kinder, die in der Nacht nicht geschlafen haben – aber am nächsten Abend ist Premiere!“

Entscheidend für Josef Schlömicher-Thier ist die Vernetzung. „Nicht selten müssen Sänger als Sklaven herumwandern“, sagt er pointiert. „Ich habe ein Netzwerk und kann die Leute an Kollegen in Tokyo oder Moskau weiterverweisen – Fachleute, die ich persönlich kenne.“ Genau so entscheidend sind im Krankheitsfall die Kontakte vor Ort, zu den Spitälern und Apotheken in Salzburg.

Das Teamwork wird nicht zuletzt durch einen Stimmkongress gefördert, den Schlömicher-Thier jedes Jahr zur Festspielzeit veranstaltet. Da kommen einschlägig tätige Ärzte aus aller Welt zusammen. Die Themen sind nicht nur für Sänger relevant, sondern genau so für andere Menschen, die beruflich mit Stimme oder Atem zu tun haben. „Vorsorgemedizin für Sänger und Bläser“ ist Thema des zehnten internationalen Voice-Symposions am kommenden Wochenende (25./26.8.).

Zu den 23 Vortragenden des Kongresses gehört Bernhard Richter vom Institut für Musikermedizin in Freiburg (Deutschland). Er mahnt die Verantwortung gegenüber Sängern ein. „Das Faktum, dass man Sänger auslutscht, gibt es schon immer“, denn „wer das Geld hat, schafft an“. Es sei Sache der Sänger, auch entschieden nein zu sagen. „Gute Agenten denken auf Jahre, Intendanten zuerst an die nächste Saison“, sagt Richter. Josef Schlömicher-Thier ergänzt: „Wir sollten für alle Musikmanager einen Kurs, einen Kongress über den Umgang mit Stimmen und über die Erfordernisse der jeweiligen Fächer und Rollen anbieten.“

Entscheidend jedenfalls, so Bernhard Richter: „Klugheit und gute Beratung – Sänger brauchen Leute an ihrer Seite, die eine gute Expertise haben.“ Richters Freiburger Kollegin Claudia Spahn ist Psychosomatikerin. In ihre Ambulanz kommen vor allem Instrumentalisten. Ihre Anliegen: „Vom Geigenfleck bis zu Verspannungen.“ Eine eigene Sprechstunde widmet sie am Freiburger Institut für Musikermedizin dem Thema Lampenfieber.

Mehr als ungewöhnlich der Ort, an den Josef Schlömicher-Thier am Mittwoch (22.8.) Journalisten eingeladen hat, um über den Kongress und das bevorstehende Jubiläum „20 Jahre  Festspiel-und Stimm-Medizin in Salzburg“ zu informieren: das Gusswerk. Schlömicher-Thier ist nämlich nicht nur Arzt und Sänger – sondern er hat auch das Handwerk des Bierbrauens gelernt. Zum Jubiläum, das man am 20. Oktober begehen wird, gibt es selbst gebrautes Bier. Die Stammwürze dazu wurde live vor Journalisten aufbereitet.

Cortison gebe er erkrankten Sängern nur „mit allergrößter Zurückhaltung“, sagt Schlömicher-Thier. Dass er lieber mit ihnen auf ein selbstgebrautes Bier geht, sollte eigentlich doppeltes Zutrauen schaffen.

„10th International Voice Symposium“ am 25. und 26. August – www.voicesymposium.com
Bilder: dpk-krie (2); www.uniklinik-freiburg.de/musikermedizin (2)