Leichtfüßig über böhmische Heimaterde

KULTURTAGE / BUDAPEST FESTIVAL ORCHESTRA

18/10/12 O-Ton Elisabeth Fuchs, bei der Begrüßung zum Auftakt-Konzert der Salzburger Kulturtage (und einiger Kulturvereinigungs-Jubiläen): „Er ist ein cooler Typ!“ Iván Fischer hat sie gemeint. Er dirigiert in dieser Woche drei Mal im Großen Festspielhaus ein ziemlich cooles Orchester: das Budapest Festival Orchestra.

Von Reinhard Kriechbaum

Ein Ranking ist natürlich absolut Schmonzes. Auch wenn es PR-mäßig gut rüberkommt, wenn ein Orchester auf einer imaginären Welt-Liste in den „Top Ten“ gereiht ist. Das 1983 von Iván Fischer gegründete Budapest Festival Orchestra hat aber ganz andere Vorzüge. Es wird von bald drei Jahrzehnten von einem Künstler geleitet und geformt. Da hat es zwangsläufig Eigenart entwickelt. In einer Zeit, da die weltweite Austauschbarkeit von Dirigenten, Solisten und Orchestern die Prämisse für den reibungslos schnurrenden Musikbetrieb ist, wird ein eigener Ton gar nicht so hoch geschätzt.

Das Budapest Festival Orchestra hat einen. Dazu gehört der sehr spezifische Geigen-Sound, dem es nicht an Fülle fehlt, der aber doch immer so transparent ist, dass die Bläser, das Holz zumal, aufs Feinste durchkommen. Das machte sich am Mittwoch bei Brahms ebenso wie bei Dvorak bezahlt. Wie genau Iván Fischer doch das Choralthema der „Haydn-Variationen“ artikulieren und phrasieren lässt. Er stand an diesem Abend eigentlich beständig auf der Tempo-Bremse, und auch das gehört zu seinen und seines Orchesters Vorzügen. Da wird auch in einem philharmonischen Gassenhauer wie eben den „Haydn-Variationen“ nicht routiniert drauflos gebolzt. Jede Variante, jede Metamorphose wird gediegen ausgelotet, ausgereizt in den klanglichen Optionen. Nicht selten funkeln Finessen im Bläsersatz hervor, die man so gar nicht im Ohr hat. Sage also keiner, er kennt die „Haydn-Variationen“ – sie wirkten wie frisch komponiert.

Dasselbe gilt für Antonin Dvoraks „Achte“ – die scheinbar liebenswürdige, böhmisch-musikantisch gefasste, leichtfüßige. Auch dafür hat Ivan Fischer gefühlte fünf Minuten länger gebraucht, den vermeintlichen Zeitverlust aber durch musikalischen Zugewinn versüßt: mit einer Vielfalt von Zwischentönen vornehmlich melancholischer Art. Auch da ein deutliches Zurücknehmen des Streicher-Volumens. Irgendwie hat die Dvorak-Symphonie geklungen, als ob nicht ein Orchesterkonzert angesagt wäre, sondern ein Gipfeltreffen von Kammermusikensembles, die zeitgleich auf dem Podium angekommen sind. Rege Dialoge mithin, von Iván Fischer mit Sinn für die jeweils optimale Gewichtung gelenkt. Freilich ging es leichtfüßig über böhmische Heimaterde, aber alles andere als leichtgewichtig: Man muss eben, auch wenn einen ernsthafte Gedanken bewegen, nicht in die Scholle stampfen…

Eine Petitesse zwischendurch: Ernst von Dohnanyi (1877-1960) hat 1933 ein hübsches Werk mit dem Titel „Symphonische Minuten“ geschrieben. Ziemlich genau sechzehn sind es, eine süffige Antwort auf Sergej Prokofjews „Symphonie classique“: Das ist einerseits in der Instrumentation Impressionismus vom Feinsten, auf der anderen Seite übersichtlich-verknapptes Formgefüge. Im letzten Teil, einer Folge von Orchestervariationen, gibt es unverhohlene Anklänge an Filmmusik der Zeit – Korngold lässt grüßen. Jedenfalls ein feines Werk für ein Ensemble wie das Budapest Festival Orchestra, das die Klänge so recht hat funkeln lassen (nicht nur die Celesta bimmeln und das Englischhorn schmachten).

In den Kulturvereinigungskonzerten am Donnerstag und Freitag (18./19.10.) steht ein anderes Werk von Ernst von Dohnanyi auf dem Programm, die „Variationen über ein Kinderlied“ op. 25. Der Klaviersolist ist Dénes Vérjon.

Und zum Mittwoch-Konzert (17.10.) nachzutragen: Da waren, wegen des Jubiläumsbündels (40 Jahre Kulturtage, 50 Jahre Sinfonieorchester der Kulturvereinigung, 60 Jahre Konzertring) Politikerreden angesagt, von Wilfried Haslauer und David Brenner. Klar, sie schätzen die Kulturvereinigung wie nur. Dem Generalsenior des Unternehmens, Heinz Klier (er hat die Kulturvereinigung 58 Jahre lang geleitet) blieb es, beim anschließenden Empfang zumindest anzudeuten, dass reale Förderzuwendung und Wertschätzung nicht ganz in Balance zueinander stehen: Dass die Kulturvereinigung ihr Geld zu 93 Prozent (!) selbst einbringt, sie also zu nur sieben Prozent mit lumpigen 59.400 Euro gefördert wird, sichert ihr eigentlich einen Eintrag im Österreich-Teil eines imaginären Buchs der Rekorde.

Das Budapest Festival Orchestra unter Ivàn Fischer spielt noch heute Donnerstag (18.10.) und am Freitag (19.10.) jeweils um 19.30 Uhr im Großen Festspielhaus - www.kulturvereinigung.com
Bilder: SKV