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Schöne Müllerinnen

UNIVERSITÄT MOZARTEUM

06/06/13 Schuberts „Schöne Müllerin“ hat eine ältere kleine Schwester: Der längst vergessene Komponist Ludwig Berger (1777 bis 1839) hat bereits 1816 sein „Gesellschaftliches Liederspiel - Die schöne Müllerin“ komponiert. Studierende bei Wolfgang Brunner am Institut für Alte Musik haben die Berger’sche Müllerin vor- und der Schubert’schen gegenübergestellt.

Von Heidemarie Klabacher

462So ein Konzert hört man nicht alle Tage. War es doch musikgeschichtlich und aufführungspraktisch ebenso spannend und ergiebig, wie sängerisch-musikalisch. Und bei aller „Pädagogik“ keinen Augenblick gelehrsam-betulich.

Da kann man allen Beteiligten nur danken, für diesen erhellenden und zugleich unterhaltsamen Einblick in den Studienbetrieb: Wolfgang Brunner für das Konzept, den Sängerinnen und Sängern, die die Liedraritäten einstudiert und den Pianistinnen und Pianisten, die die Begleitungen auf dem Hammerflügel erarbeitet und damit neue -  subtile und facettenreiche – Klangwelten erschlossen haben.

So viele Überraschungen in einem einzigen Konzert! Dieser Liederabend im Solitär brachte erstens also spannende neue Informationen über das „Vorleben“ oder die „Vorfahrin“ eines der bekanntesten Werke der Musikgeschichte. Präsentierte zweitens „schräge Schnörksel“ und Anmerkungen zu Schuberts Zyklus, den der Verleger Anton Diabelli und der Sänger und Schubertfreund Michael Vogl nach Schuberts Tod in einer bearbeiteten „ausgezierten“ Fassung herausgebracht haben. Und drittens war dieser Abend im Solitär eine Begegnung mit schönen jungen Stimmen und viel versprechenden Interpreten.

Das zunächst Interessanteste ist natürlich, dass Franz Schuberts legendärer Zyklus nicht die erste „Schöne Müllerin“ der Musikgeschichte ist. Die Texte der zehn Lieder der frühen „Müllerin“ des Pianisten und Klavierpädagogen Ludwig Berger schrieben 1816 ein paar Jugendliche, die ihre aufwallenden Gefühle in standesgemäßen „Salons“ in Schäferspiele und Gedichte gossen: Berliner „Teenies“ des frühen 19. Jahrhunderts, wie Wolfgang Brunner erzählte.

Unter ihnen: Wilhelm Müller, der ein paar Jahre später dann seine großen Gedichtzyklen geschrieben hat. Sie sollten ihn – wegen der Vertonung durch Franz Schubert – als Textdichter unsterblich machen. Fünf Gedichte hat Wilhelm Müller bereits 1816 zum „Gesellschaftlichen Liederspiel - Die schöne Müllerin“, Ludwig Bergers op. 11, beigesteuert.

Die übrigen Gedichte stammen von weiteren jungen Gästen der Berliner Staatsratsfamilie Staegemann. Einige Namen sind bekannt, vor allem Wilhelm Hensel (der Maler und spätere Ehemann von Fanny Mendelssohn) oder seine Schwester Luise Hensel (die Dichterin und spätere pietistische Charismatikerin, in die u.a. Wilhelm Müller unglücklich verliebt war).

Von Hedwig von Staegemann stammt ein heiteres Gedicht, das von Ludwig Berger als virtuoses Vogelgeträller vertont und im Solitär von Anna Magdalena Helbig wendig und temperamentvoll gesungen worden ist. „Ich hört ein Bächlein rauschen“ oder „Am Bach viel kleine Blumen stehn“ oder „Ihr Blümlein alle, die sie mit gab“ sind in der Vertonung von Ludwig Berger durchaus stimmungsvolle, aber formal sehr einfache Strophenlieder. Es ist nicht leicht, ihnen gerecht zu werden, weil die genialen Vertonungen Schuberts von diesen Texten nicht mehr zu lösen sind. Umso größeres Kompliment an Sonja Bühling, die „Des Baches Wiegenlied“ eine bewegende verhaltene Dramatik zu geben wusste. Am Hammerflügel begleitet wurde die Berger-Müllerin von Manuela Giardiana.

1821 hat Wilhelm Müller dann den großen Zyklus mit 25 Gedichten veröffentlicht, den Schubert 1823 vertonen sollte. Viel Gelehrsamkeit – und doch so spannend für jeden, der Schuberts Lieder liebt.

Im zweiten Teil des Abends teilten vier „Burschen“ die Lieder vom Liebesleid des Müllersburschen unter sich auf: Felix Mischitz, Aco Biscevic, Patrick Lutz und Robert Davidson sangen die von Anton Diabelli und Johann Michael Vogl romantisch weitergedachte „Schöne Müllerin“ Schuberts. Ihm gefalle die „Freiheit der Musiker der damaligen Zeit im Umgang mit der Musik der Kollegen“, sagte Wolfgang Brunner.

Die Schlussphrase im Lied „Morgengruß“ zu verzieren ist nun wirklich Goldstaub auf Sterne streuen, nämlich überflüssig. Aco Biscevic hat diese Schnörksel über den „blauen Morgensternen“ oder „ihrer stillen Wonne“ aber so fein ziseliert, zurückhaltend und technisch so souverän gestaltet, dass man richtig glücklich war, diese Variante gehört zu haben. Aco Biscevic war in Projekten der Liedklassen schon mehrmals zu hören. Nach seiner strahlenden und doch so verinnerlichten Interpretation der drei letzten Lieder der Müllerin herrschte im Solitär sekundenlanges Schweigen.

Ein überaus großes Vergnügen war auch die Begegnung mit Patrick Lutz und seinem vollkommen lockeren und natürlichen Zugang zum Lied: Schöner in Stimmklang und Textgestaltung haben auch namhafte Sänger „Mit dem grünen Lautenbande“ nicht hören lassen. Die feine Ironie in der „Pause“: ein Erlebnis, wie der ganze Abend. Dank an Müllerinnen und Müllersburschen. Und den Müller natürlich.

Bilder: Staatliche Museen zu Berlin, Alte National-Galerie (1) / UniMoz

 

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