Janusköpfig

PHILHARMONIE SALZBURG / BENJAMIN HERZL

02/01/15 Es ist nicht gering zu schätzendes Unterfangen, ausgerechnet am 1. Jänner gleich zweimal hintereinander Beethovens „Neunte“ zu stemmen. Da Chefdirigentin Elisabeth Fuchs ihr Baby betreut, holte sich dazu die Philharmonie Salzburg dazu Debütant Florian Krumpöck. Wirklich begeisterte in diesem Konzert aber nur der Solist Benjamin Herzl.

Von Horst Reischenböck

Georges Bizets „Carmen“ zählt zu den meist aufgeführten Opern. Es gibt kaum Musikliebhaber, die sich dem Schwung ihrer Melodien entziehen. Von dieser Warte aus betrachtet, war der Einstieg in die Matinee im Großen Festspielhaus von vornherein die sprichwörtliche „g'mahte Wies'n“. Noch dazu, wo Gastdirigent Florian Krumpöck mit seinem fulminanten Einstieg in das Vorspiel zum 1. Akt Zunder gab und das Auditorium förmlich überrumpelte. Darin folgte ihm willig die Philharmonie Salzburg, deren exzellenter Solotrompeter dann die berühmte Habanera so mühelos perfekt und tonschön spielte, wie es Sängerinnen schwer möglich ist.

Geigenstar Pablo de Sarasate hatte einst über Bizets Themen fantasiert. Schon weniger geläufig ist, was im Exil in den USA der primär durch Filmmusiken bekannt gewordene Franz Waxman daraus kompilierte (dort durch Jascha Heifetz populär gemacht). Eine wirkliche Novität bedeutete aber diesmal die Carmen-fantázia op. 3/3 von Jenö Hubay, in der der junge Benjamin Herzl alle Register seines Könnens innerhalb kürzester Zeitdauer ausbreitete: Ein Teufelsgeiger in der Nachfolge seines Lehrers Benjamin Schmid, der virtuos sowohl sonor die g-Saite ausreizte wie sich in höchste Flageolett-Töne hinein verströmte. Eine Zugabe im Anschluss nach dieser kurzen ersten Programmhälfte wäre sicherlich genauso herzlich bedankt worden – so blieb dies mehr als bloß ein Versprechen für eine erfolgreiche Zukunft: Man sollte Benjamin Herzl sich bald einmal selben Orts an einem kapitalen Opus erproben lassen.

Zwei Seiten einer Medaille: Mit Krumpöcks Sicht auf die 9. Sinfonie in d-Moll op. 125, zu der Ludwig van Beethoven vor genau 200 Jahren erste Ideen skizzierte, war vorerst wenig anzufangen. Durch Temposchwankungen geprägt, hinterließ der Kopfsatz den Anschein, als bewirke jeder Forte-Ansturm höheren Blutdruck und ergo Beschleunigung. Im absolut nicht mehr „scherzend“ gedachten Molto vivace tanzte danach Krumpöck wie ein Derwisch und stach im Überschwang jeden Paukeneinsatz in die Luft. Wobei es Zusammenspiel manchmal zusätzlich knirschte (was sich bei der Wiederholung des Programms am Nachmittag des Neujahrstages wohl gebessert haben mochte).

Das Adagio hingegen erfüllten die Streicher sonor und, wie gefordert, fast überirdisch cantabel in Korrespondenz mit den ausgewogen timbrierten Holzbläsern. Die Soloposaune war freilich nicht einmal mehr als unterstützende Klangfarbe zu vernehmen. Das überdimensional ohnedies zerklüftete Finale wirkte zumindest von der Disposition her klug durch organisiert. Mitunter ins kaum noch hörbare Pianissimo abdriftend wurde von den Kontrabässen das „Freuden“-Thema angestimmt, dem der Bariton Andreas Scheibner dann voluminös zum Wort verhalf. Kurt Azesberger (Tenor), Sophie Gordeladze (Sopran) und Christa Ratzenböck (Alt) fügten sich vor dem Orchester genauso stimmgewaltig und ausgewogen ins Vokalquartett. Solche Gender-Gerechtigkeit gibt es innerhalb des Budapester Talentum Chores und des Mozartchors Salzburg nicht, die Männer hinken weit nach. Der Utopie „Alle Menschen werden Brüder“ wurde als Wille fürs Werk jedenfalls ausgiebig applaudiert.

Florian Krumpöck wird bereits im nächsten Konzert der Kulturvereinigung am 14. Jänner im Großen Festspielhaus wieder dirigieren, nämlich die Norddeutsche Philharmonie Rostock. Auf dem Programm: Pjotr Iljitsch Tschaikowskys 5. Sinfonie und das Violinkonzert von Aram Chatschaturjan mit Christine-Marie Höller – http://www.kulturvereinigung.com/de/konzerte/grosses-festspielhaus/russische-nacht-277/
Bild: Salzburger Kulturvereinigung