Von Elfen, Popstars und kühlen Köpfen

KULTURVEREINIGUNG / ARCTIC PHILHARMONIC ORCHESTRA

16/04/15 Ein Fass ohne Boden, voller Melodien, teils hymnisch, teils sakral ins warme Licht des spätromantischen skandinavischen Frühlings getaucht und eine elfenhafte Figur im Marathonschritt auf dem Weg zum Auftakt des Gastspiels des Arctic Philharmonic Orchestra im Großen Festspielhaus.

Von Stefan Reitbauer

Mittwochabend (15.4.), Tag eins des dreitägigen Besuchs des recht ernsten norwegischen Orchesters und des gefeierten Trompeters Pacho Flores. Christian Lindberg kommt im lockeren Laufschritt auf die Bühne, den Kopf in den Nacken gelegt, als hätte er langes, wallendes Haar. Er wird den ganzen Abend nur elfenhaft laufend zu sehen sein, vor Elan sprühend, immer auf Spannung und immer lächelnd.

Sein Orchester dagegen beginnt den Abend eher nüchtern musizierend mit der bekannten „Karelia-Suite“ von Jean Sibelius. Man ist noch bemüht, den richtigen Sound zu finden und diesen, wie dann später ganz selbstverständlich, selbstbewusst ins Auditorium zu schicken. So wirkt das Abspulen der melodienreichen Sätze zu Beginn noch etwas hölzern und sehr auf rhythmische Präzision bedacht. Die ist auch jederzeit zu hören und spätestens im dritten Satz, wenn das Englischhorn die Melodie des Barden aus dem alten Wyborg (im heutigen Russland) singt, weicht langsam die kühle Bedachtheit aus dem Klangkörper und mündet im glanzvollen, hymnischen Schluss der Suite.

Pacho Flores ist ein herausragendes Beispiel für viele, die aus dem venezolanischen Großprojekt El Sistema als professionelle Musiker hervorgetreten sind. Er ist in der Volksmusik seiner Heimat verwurzelt, trotzdem scheint es ihm durchaus leicht zu fallen, die armenischen Weisen aus dem Konzert für Trompete und Orchester in As-Dur von Alexander Arutjunjan zu interpretieren. Selbstbewusst, in der Haltung ganz sichtbar ein junger Popstar, und mit sattem Klang, nur selten mit einer dann allerdings auch angemessenen Zurückhaltung musizierend: Es wird rasch klar, dass Pacho Flores nicht zufällig zu den führenden Trompetern seiner Generation gezählt wird. Das Orchester, Flores und Lindberg gelingt es überzeugend, den großen Bogen von armenischer Folklore, moderner filmmusikalischer Anklänge und rhythmisch herausfordernden rhapsodischen Elementen virtuos zu gestalten, ehe das Stück mit einer souverän absolvierten Kadenz in einer letzten Verarbeitung des Grundthemas endet.

In Konzerthälfte zwei trägt der noch immer alle Wege joggend zurücklegende Maestro Glitzerrot, was die feinen, aber kantigen und immer höchst kreativen Dirigierbewegungen tatsächlich noch in ihrer irgendwie insektenhaften Wirkung verstärkt. Im Zusammenhang mit Sibelius´ lyrischer und später hymnischer symphonischen Dichtung „Finlandia“ und den Symphonischen Tänzen op. 64 von Edvard Grieg ist hier wohl doch wieder der Begriff der Elfe angemessener. Christian Lindberg ist auch Posaunist, und er dirigiert so, wie man es von einem Blechbläser erwarten darf – exakt, knackig und mit teilweise ausuferndem, aber immer authentischem Pathos. In „Finlandia“ darf der Schwede alle seine Register ziehen und die klagenden, trotzigen, wütenden und hymnischen Abschnitte der finnischen Unterdrückungsgeschichte stolz und aufrecht musizieren. Das Orchester agiert auch in den abschließenden Grieg´schen Tänzen aufmerksam und mit viel Gefühl für die großen und kleinen melodischen Bögen der so unterschiedlichen Sätze. Man fühlt sich in Fehlshöhlen in versteckten norwegischen Fjorden, in dichte Wälder und unendliche Seenlandschaften verpflanzt, wenn die scheinbare unerschöpfliche Vielfalt an Naturbildern erklingt. Sibelius meinte einmal, er könne die Obertöne eines Roggenfelds hören. Edvard Grieg bringt auch die Märchen und Sagen lang vergangener Zeiten zum Klingen.

Die Zugaben geben dem Publikum bereits einen kleinen Vorgeschmack auf die beiden folgenden Konzerte (unter anderem Griegs „Peer Gynt-Suite Nr.1“). Man darf sich wohl wieder auf sehr überzeugende, authentische und lustvoll agierende Musikerinnen und Musiker, einen herausragenden Solisten und begeisternden Dirigenten freuen.

Das Arctic Philharmonic Orchestra ist noch heute Donnerstag (16.4.) und am Freitag (17.4.) bei der Kulturvereinigung im Großen Festspielhaus zu Gast – www.kulturvereinigung.com
Bilder: Kulturvereinigung