Gefangen in der Zeit

ODEION / STRAUSS / ZEITGESCHICHTE

01/12/15 Wieder einmal traf sich ein handverlesener Kreis von Kennern und Liebhabern im Odeion. In der Sonntagsmatinee am 29. November ging es um Richard Strauss und seine Verstrickungen in die Zeitgeschichte. Ein Programm, das sich ein größeres Publikum verdient hätte.

Von Gottfried Franz Kasparek

Jovita Dermota, die Tochter des legendären Tenors Anton Dermota, ist bekannt für ihre Themenabende und Lesungen. Diesmal spannte sie den Bogen von einem Brief des jungen Strauss, in dem er Wagners Musik noch als „Gewäsch“ bezeichnete, über die treue Dienerschaft des erfolgreichen Kapellmeisters gegenüber Bayreuth und insbesondere Cosima Wagner bis hin zum wehmütigen Abschied von der geliebten „deutschen Kunst“ nach der Katastrophe des Nationalsozialismus. Dass Strauss kein Nazi war, sondern schlimmstenfalls ein zeitweiliger Mitläufer, der noch dazu um seine jüdische Schwiegertochter und seine halbjüdischen Enkel zittern musste, ist wohl jedem Menschen klar, der sich intensiver mit der Biographie dieser neben Debussy und Mahler größten musikalischen Begabung der frühen Moderne beschäftigt hat.

Weniger bekannt ist, wie sehr Strauss eine Zeit lang, so um 1890 herum, den Verlockungen des allzu deutschen Weihetempels Bayreuth erlag. Cosima, die von ihrer Abstammung her nur in Maßen deutsche „hohe Frau“, Tochter und Witwe von Jahrhundertgenies, machte das Erbe Wagners noch viel deutscher, als dieser selbst es gewollt hatte. Und auch noch viel arischer. Wobei der englische Anteil an dieser ideologischen Okkupation ein bedeutender war. Jovita Dermota, eine pointierte Leserin mit Geist und Charme, brachte dies in ihrer klugen Textauswahl aus Briefen und Tagebüchern in aller Ambivalenz zur Geltung. Strauss löste sich zwar von Cosima, die mit seinen musikalischen Revolutionen spätestens seit „Salome“ nichts mehr anfangen konnte, aber nicht von seinen nationalen Idealen. Da war er nicht der einzige, sondern in der Gesellschaft zum Beispiel Anton Weberns.

Doch so einfach ist die Sache nicht. Die komplizierten künstlerischen Partnerschaften zu den mehr oder weniger jüdischen Dichtern Hofmannsthal und Zweig, die blauäugige Naivität eines gewiss gescheiten Menschen gegenüber den „Proleten“, wie er die Nazis insgeheim nannte, die Eiertänze, um seine Familie und sein Werk zu retten, dazu eine gesunde Portion bayerischer Geschäftstüchtigkeit – all dies brachte die Erzählerin zum Ausdruck, ohne oberflächlich zu verurteilen, ohne in Oberlehrergesten zu verfallen.

Der Mensch Strauss wurde deutlich spürbar, ein Mensch in der Gefangenschaft seiner Zeit, seiner Psyche, seiner Ideale. Was bleibt, ist die Musik. Die Sopranistin Amélie Sandmann sang mit authentischer Emphase und sehr wortdeutlich eine Auswahl der bekanntesten Strauss-Lieder, deren schwelgerischer Romantik einfach nicht zu widerstehen ist. Nicht nur für einfühlsame Liedbegleitung, sondern auch für einen lohnenden Blick in unbekannte Bereiche sorgte mit pianistischer Delikatesse und Gefühl Siegfried Mauser. Wirklich schade, dass Strauss nur als Jüngling Klaviermusik geschrieben hat. Schon im Andante des 15jährigen wuchert typisches Melos. In den Stimmungsbildern op. 9 zeigt sich kaum Wagners, sondern Schuberts, Schumanns und viel mehr Debussys Einfluss.

In atmosphärischen Stimmungsbildern wie einer eher abgründigen „Träumerei“, „An einsamer Quelle“ und dem klangmalerischen Meisterstück „Heidebild“ kündigte sich ein ganz großer Klavierkomponist an, der dann doch den Verlockungen des Orchesters und der Oper nicht widerstehen konnte. Am Ende der Matinee kam Anton Dermotas wundersame Tenorlyrik vom Band – „Die Nacht“, begleitet von Strauss 1943, ein berührender Gruß aus dunkler Zeit.

Bild: jsproduction.de