Monstergalle. Himmelslicht.

MOZARTEUMORCHESTER / IVOR BOLTON / IL RITORNO DI TOBIA

29/04/16 Ein Sängerfest. Ein Holzbläser- und Blechbläserfest. Eine Orchester-Sternstunde. Und natürlich ein Dirigenten- und Abschiedsfest für Ivor Bolton: Er hatte mit Joseph Haydns Oratorium „Il ritorno di Tobia“ seinen letzten Auftritt als Chefdirigent des Mozarteumorchesters. – Wann genau ist noch mal sein erster Auftritt als „Ehrendirigent“?

Von Heidemarie Klabacher

Der blinde Tobit wartet mit Ehefrau Anna auf die Rückkehr des Sohnes Tobias von einer Geschäftsreise. Der Bote bringt gute Nachricht: Tobias kommt bald. Er hat auf der Reise geheiratet, ein Ungeheuer besiegt und aus dessen Galle ein Heilmittel für Tobits Blindheit gewonnen. Der Bote ist ein Engel und die Heilung des Blinden durch Tobias eine Vorausdeutung auf die späteren Wunder des Messias.

Aus dieser knappen Fabel haben Giovanni Gastone Boccerini das Libretto und Joseph Haydn das wundersame Oratorium „Il ritorno di Tobia“ geschaffen. Warum spielt man eigentlich immer nur „Schöpfung“ und „Jahreszeiten“? Vielleicht weil Tobia bei scheinbar wenig „action“ am Donnerstag (28.4.) doch geschlagene drei dreiviertel Stunden für die Heilung gebraucht hat?

Wie hart die ungepolsterten und bei jeder falschen Bewegung knarrenden Sitze im Großen Saal des Mozarteums tatsächlich geworden sind, sind hat man aber erst gemerkt, als der fulminante Salzburger Bachchor seinen Lobgesang gesungen und das Publikum seinerseits den Jubel angestimmt hat. Zuvor hatte man drei dreiviertel Stunden lang einfach mit angehaltenem Atem gelauscht und keine Zeit gehabt für Kreuzweh.

Wie facettenreich und transparent – bei durchgehend enorm viel Power – Ivor Bolton Atmosphäre und Stimmungen, Farbe, Bewegung und Leben entwickelt hat! Es war einfach eine halbe Nacht lang überwältigend: Der fein ausbalancierte Klang der unzähligen Holz- und Blechbläsersoli, egal ob im sanften Schweben, in der choralartigen Reflexion oder im fanfarenhaften Triumphieren! Geradezu impressionistisch schillerten die Orchesterfarben in den Accompagnato-Rezitativen. Es wird ja nicht wenig „betrachtet“ und sorgenvoll „diskutiert“ im Tobia. Die Secco-Rezitative wirkten nicht weniger farbenreichen, wurde ihnen doch vom Cembalisten immer wieder strahlende Glanzpunkte aufgesetzt. Den machtvollen Tutti-Sound wusste Ivor Bolton mehr über die Intensität denn über die pure Lautstärke zu steigern.

Eine Sternstunde also von Ivor Bolton und seinem Mozarteumorchester. Kein Wunder, dass man sich beim Mozarteumorchester mit der Chefdirigenten-Nachfolge-Findung ein wenig Zeit lässt.

Große Stunden aber auch der Solistinnen und Solisten. Joseph Haydn hat die fünf Gesangspartien – den Engel Raffaelle, Tobias Braut Sara, Tobias Mutter Anna, Tobias blinden Vater Tobit und natürlich Tobia selber – seinen damaligen Stars in die Kehlen geschrieben: hochvirtuose Partien, in denen alle Register technischer und gestalterischer Raffinessen zu ziehen sind.

In Salzburg aufgeboten waren die Sopranistin Lucy Crowe als Raffaelle, die Mezzosopranistin Anna Bonitatibus als Sara, die Altistin Bettina Ranch als Anna, der Tenor Mauro Peter als Tobia und der Bass Neal Davies als Tobit: Sie alle haben die vielfältigen Emotionen ihrer Partien – die bewegenden Stimmungswechsel innerhalb der einzelnen da capo-Arien, aber auch innerhalb des Gesamtwerkes – so mitreißend auf die Bühne gebracht, dass man biblische Wüsten- und Himmelslandschaften geradezu zu sehen meinte. Mit bewundernswerter technischer Souveränität haben die fünf Virtuosen ihrer Stimmfächer die unzähligen Wechsel zwischen ratlosem Disput, apokalyptischer Bedrohung, himmlischem Frieden und triumphierendem Jubel gestaltet. Scheinbar „nichts los“ im Stück und dennoch eine emotionale Achterbahnfahrt!

Der Chor hat im Tobia nicht so viel zu tun - aber wenn der Salzburger Bachchor sich zu Wort meldet, beben nicht nur die Mauern von Ninive.

Bild: Mozarteumorchester / Ben Wright