Heldenleben der anderen Art

OSTERFESTSPIELE / BERLINER PHILHARMONIKER / SIR SIMON RATTLE

13/04/17 Das Fünfzig-Jahre-Jubiläum machte es möglich: Trotz Präsenz in Baden-Baden fanden die Berliner Philharmoniker Zeit zum Abstecher an den Ort, der sie und den sie jahrzehntelang geprägt hatten. Triumph für sie und ihren Chefdirigent Sir Simon Rattle mit Gustav Mahlers „Sechster“.

Von Horst Reischenböck

Herbert von Karajan und „seine“ Berliner fanden erst relativ spät zu Gustav Mahler. Im Festspielsommer 1972 ließen in Salzburg das „Lied von der Erde“ hören. Auch mit den Sinfonien wollte Karajan sein Oster-Publikum nicht konfrontieren. Diese sparte er sich dann für die Pfingstkonzerte auf.

Am Mittwoch (12.4.) im Großen Festspielhaus also die laut Alban Berg „einzige Sechste“, die a-Moll-Sinfonie mit dem Beinamen „Tragische“. Das ist sie in ihrer persönlich gefärbten Aussage unüberhörbar auch, nicht bloß erschütternd, vielmehr niederschmetternd. Eine andere Lebensschilderung, in der der Held nicht wie bei Richard Strauss gegen Ende auf seinen „Friedenswerken“ ausruht, sondern sich unentrinnbar, rettungslos dem schicksalshaft prophezeit eigenen Untergang ausgeliefert sieht. Vor dem dritten, tödlichen Hammerschlag schreckte Mahler dann aber doch zurück.

Unter allen Sinfonien Mahlers ist die Sechste, äußerlich auch vom viersätzigen Aufbau her, die klassischste. Was bereits die bei ihm einmalige Wiederholung der Exposition im Kopfsatz dokumentiert. Die Reihung der Binnensätze ist umstritten ist: Sowohl Wilhelm Furtwänglers Assistent Jascha Horenstein als auch James Levine und Claudio Abbado, in seiner ersten Deutung vor dem Chicago Symphony Orchestra, setzten entsprechend dem Erstdruck das diabolische Scherzo an die zweite Stelle. Das dünkt insofern logisch, als dieses, thematisch als eine Art Familiendrama mit dem Vorangegangenen verbunden, gegen den Rhythmus torkelnd das Schicksal von Mahlers Töchtern vorwegnehmend schildert.

Mit den Berliner Philharmonikern folgte Abbado dann Mahlers Revision und drehte die Satzfolge um, so wie auch Sir Simon Rattle 1989 in seiner Maßstab setzenden Einspielung mit dem City of Birmingham Orchestra. Genauso, mit demselben Konzept, kniete er sich mit vollem körperlichem Einsatz nun auch diesmal in die fordernde Partitur, die einem entsprechend ihrer Vorgabe groß besetzten Orchester alles abverlangt.

Die Berliner Gäste bewiesen ihre Hochform, angefangen im Bassregister zu Beginn im zugleich heroisch kämpfenden wie später dann tragisch auch Trauer nicht aussparenden Marsch. Garniert durch geradezu schneidend grelle Trompetenspitzentöne oder in den erschreckend tiefschwarzen Einwürfen der Tuba zusammen mit Fagott und Bass-Klarinette zum Hauptthema im Schluss-Satz. Gerade die Blechbläsergruppe griff immer wieder geradezu fulminant ins Geschehen ein, so etwa der exzellente Solo-Hornist oder ihrer alle acht im markanten Zusammenspiel mit nach oben gerichteten Trichtern.

Die Holzbläser blühten im Choral auf, mehrfach garniert durch Celesta und hinter der Kulisse postierte Kuhglocken in trügerische Idylle hinein. Und sie mischten mit dem teuflischen Gelächter des Xylophons dem Marsch groteske Triller bei. Die Violinen ließen die ihnen anvertraute „Alma“-Kantilene strahlen, bis in höchste Höhen ausschwingen und versenkten sich danach genauso intensiv in den Ruhepol des melancholisch pastoralen Andante. Posaunen und Tuba im Fugato des Schicksalsmotivs und der ausweglos letzte Appell seitens der Paukisten setzten dann den Schlusspunkt hinter den längsten aller Mahler'schen Finalsätze. Dank für ein einzigartiges Erlebnis!

www.osterfestspiele-salzburg.at
Bilder: OFS/Creutziger