High Noon auf der Engelsburg

OSTERFESTSPIELE / TOSCA

25/03/18 Die Operndiva Tosca raubt ihrem Geliebten, dem Maler Cavaradossi, mit Eifersucht genau die Zeit, die dieser gebraucht hätte, um dem verfolgten Freund sinnvoll zur Flucht zu verhelfen. Polizeichef Scaripa erpresst Tosca. Tosca ersticht Scarpia. Dieser hat noch im Tod den längeren Arm: Der Befehl zur Schein-Hinrichtung Cavaradossis war ein Betrug. Tosca stürzt sich von der Engelsburg. Normalerweise.

Von Heidemarie Klabacher

Giacomo Puccinis „Tosca“ hat das effektvollste Finale der Operngeschichte. Doch diesmal hat Flora Tosca den Widerling Scarpia irgendwie nicht gut getroffen. Gerade hat sie, die Sängerin mit reicher Bühnenerfahrung, dem Geliebten noch gezeigt, wie er vor dem Hinrichtungskommando überzeugend „sterben“ soll. Doch es waren keine Platz-Patronen. Fassungslos steht Tosca über der Leiche des Geliebten, da taucht der verwundete Polizeichef Scarpia noch einmal auf: In einem wildwest-reifen Schuss-Wechsel über den Dächern Roms feuern Tosca und Scarpia aufeinander. Beide treffen.

Man fühlt sich ums Finale betrogen. Der Untote Scarpia und die erschossene Flora Tosca sind freilich nicht die einzigen Brüche in der Regie von Michael Sturmingers „Tosca“, die am Samstag (24.3.) bejubelte Premiere der Osterfestspiele im Großen Festspielhaus feierte. Es sind auch keine Soldaten oder Polizisten oder sonstige Schergen Scarpias, die das Hinrichtungskommando bilden. Nein, es sind einige der Buben aus dem der Kirche Sant´ Andrea della Valle wohl angeschlossenen Sängerknaben-Internat, die zu dieser Bluttat missbraucht werden. Man könnte drüber nachdenken, was aus diesen Buben werden wird, die da zum Töten gezwungen und danach von den mafiös anmutenden Handlangern Scarpias mit Bierdosen getröstet wurden. Aber warum?

Effektvoll sind einige wenige Sekunden zu Beginn: Wir befinden uns in einer Tiefgarage. Schüsse werden abgefeuert. Wir erleben Augenblicke der Flucht von Konsul Angelotti, dem sein Freund Cavaradsossi so wenig effektvoll auf der Flucht zu helfen versuchen wird. Die Tiefgarage versinkt in der Unterbühne. Das prachtvolle marmor-barocke Setting der Kirche senkt sich herab.

Dort malt der Maler Mario Carvaradossi diesmal kein Bild der Maria Magdalena auf Leinwand, sondern er legt irgendwie letzte Hand an eine überdimensionale silberne Madonnen-Protz-Statue, die freilich keiner Konkurrentin Toscas, sondern nur der Madonna vom Salzburger Domplatz (wo Michael Sturminger als Regisseur ja den Jedemann betreut) ähnelt. Die Bühne im Großen Festspielhaus muss gefüllt werden: Ist das der Grund für das Vorhandensein des bedrohlichen Ausstattungsstückes? Ministranten, Priester und Bischof, samt Baldachin, marschieren zum Lobpreis in einem seltsamen „zwei vor, eins zurück“-Schritt über die Bühne. Schaut sehr seltsam aus. Salzburger Bachchor und der Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor haben darstellerisch viel zu tun und präsentieren sich wie immer bestens einstudiert von Alois Glaßner und Wolfgang Götz.

Als sinnfällige zeitgenössische Brechung des Stoffes wären die Mafia-Anmutungen schon eher dienlich, aber auch diese werden nur halbherzig angedeutet. In gleiche Kategorie fallen der Fahrrad-Erogmeter im prächtigen Büro von Scarpia im Palazzo Farenese oder die Sonnenbrille Toscas. Scarpia selber kommt eher als Mafia-Rechtsanwalt, denn als wirklich gefährlicher „Pate“ daher. All diese kleinen Versuche, „moderne“ Momente oder gar Regietheater ins historische Geschehen einzubringen, verpuffen wirkungslos. Und man kann sich der Pracht von Kirche und Palast und des Ausblicks auf Rom hingeben: Denn auch der Palazzo versinkt im Boden. Eine Dachlandschaft kommt zum Vorschein – und bietet fulminanten Blick auf St. Peter…

Für die wahre Pracht steht, trotz der kostbaren Ausstattung von Renate Martin und Andreas Donhauser, in dieser Produktion die Musik. Anja Harteros ist sängerisch und darstellerisch eine Jahrhundert-Tosca. Staundend und bewundernd verfolgt man ihre Entwicklung von der nervtötenden Zicke zur bewegenden Tragödin. Sängerisch souverän – sei es im Dramatischen oder Lyrischen - gibt es für sie keine technischen Grenzen: Jede Linie die Anja Hartero mit Virtuosität und grandioser Technik entfaltet, führt in den Sängerolymp. Toscas Rückblick auf ein bisher nur der Kunst und der Liebe geweihtes Leben - in der Konfrontation mit Scarpia - bewegt zutiefst, zeugt von höchster Gesangs- und Gestaltungskultur.

Ihren Mario Cavaradossi gibt Aleksandrs Antonenko mit weichem, nicht immer ganz fokussiertem, gerade deswegen aber auch besonders reich timbriertem Tenor. Darstellersich wenig diabolisch, aber stimmlich überzeugend und präsent ist Ludovic Tézier als Scarpia. Andrea Mastroni ist in seinem nur so kurzen Auftreten ein zupackender Angelotti.

Sie alle werden auf Händen getragen von Christian Thielemann und der Sächsischen Staatskapelle Dreseden. Mit größter Präzison, ja Korrektheit, entfaltet Christian Thilemann die Partitur und erschließt immer mehr ihre Tiefe. Die emotionale Spannung ist nur in wenigen Momenten in bloß opernhafte „Große Geste“ geflossen. Diese Ausbrüche sind packend, bleiben aber kontrolliert. Vor allem - und immer wieder aufs Neue -  staunt man über die Ausdruckskraft des Leisen.

Die Intensität der Thiehlemann'schen Interpretation dankt sich Feinheit, Facettenreichtum und dem schier unendlich weiten Klangraum, der quasi jedem einzelnen Instrument zur Entfaltung offen steht. Färbungen und Lichtstimmungen sind zu entdecken, die in solcher Reichhaltigket keineswegs in jeder „Tosca“ zu erleben sind. Alle Dramatik, die die doch nur bebildernde und trotz ihrer Schrulligkeiten eher starre Regie vermissen lässt, ist in der Musik reich entfaltet.

Tosca - eine weitere Aufführung bei den Osterfestspielen am Montag (2.4.) - www.osterfestspiele-salzburg.atFernsehübertragung am 31. März, 20.15 Uhr 3sat; Hörfunkübertragung am 2. April, 19.30 Uhr, Ö1
Bilder: OFS/Forster