Auch wir in Arkadien

OSTERFESTSPIELE / ORCHESTERKONZERT I

25/03/24 Italien-Schwerpunkt bei den Osterfestspielen, ein Stück mit Titel Juventus. Der Jubelgesang auf einen italienischen Fußballclub also? Kein Torschuss. Als Victor de Sabata 1919, als Siebenundzwanzigjähriger, dieses sein erstes Poema sinfonico schrieb, war Fußball noch kein Volkssport.

Von Reinhard Kriechbaum

Damals sehr wohl ein Thema: Richard Strauss' Tondichtungen, die der junge Dirigent Victor de Sabata natürlich kannte. Und er kannte ebenso gut die amerikanische Unterhaltungsmusik. Und so tönt in Juventus kein Helden-, sondern eben ein Jugendleben aus vollem instrumentalem Rohr. Im südländischen Überschwang klingt das über weite Strecken gar nicht so unmittelbar nach dem Strauss'schen Vorbild, sondern wie dem Musikdepartment eines Hollywood-Studios entflossen. Doch sorry, wieder kein Treffer ins Tor: Tonfilm war damals auch noch kein Thema.

Juventus ist jedenfalls ein üppiger, vielgestaltiger Orchesterschinken. Aus solchen Jungspunden mit hörbarem Testosteron-Überschuss könnte man alleweil gute Juventus-Spieler machen, aber die italienischen Kids hängen auch ab. Könnte es sein, dass man auch amouröse Triebe herauslesen kann aus der vielgestaltigen Partitur, auch wenn Komponist in der Inhaltsangabe zur Tondichtung dieses Thema aussparte?

Die italienische Symphonik der Romantik, des Impressionismus, des Fin de siècle, dringt selten über die Alpen nordwärts. Selbst Stücke wie Ottorino Respighis Fontane di Roma und Pini di Roma, beide eigentlich unverzichtbarer Teil des Kanons, werden heutzutage sträflich selten in Konzertprogrammen angesetzt.

Schön, dass Antonio Pappano mit seinem Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia im ersten Orchesterkonzert der Osterfestspiele diese beiden Stücke nebeneinander gestellt hat. Sie zeigen auch eine Fortentwicklung. Vor allem die Rahmenteile der Fontane (1915/16) sind inspiriert von der Stimmungsmalerei eines Debussy. Aber sieben Jahre später, im Schatten der Pini, neigte Respighi auch ganz vehement dem Neoklassizismus zu. Da glaubt man im ausgelassenen Treiben im Park der Villa Borghese gar Strawinskys Petruschka Schabernack treiben zu hören.

Antonio Pappano und sein Orchester haben all das sanguinisch animiert und klanglich delikat aufbereitet. Wenn an der Via Appia die römischen Streitwagen daherkommen, kann sich das Herz so recht erfreuen. Die sechs zusätzlichen Blechbläser, paarweise gruppiert hinter dem auch nicht wenig opulenten Schlagzeug, machen schon was her. Wir schämen uns aufrichtig dafür, aber der tönende Historien-Kitsch hat uns und alle im Saal einfach hin- und mit sich gerissen.

Am Anfang gab's noch zwei Raritäten. Der La Gioconda-Schöpfer Amilcare Ponchielli hat 1883 eine Elegia per grande orchestra geschrieben, mit der er jederzeit in Konkurrenz mit der großen Trübsalbläserei in langsamen Tschaikowsky-Sätzen hat treten können. Beinahe cineastische Breitwand-Gefühle könnte man zu dieser betörend aufgefalteten Seelenklage assoziieren.

Ein witziger Vorspann dazu: La ritirata notturna di Madrid ist die Schilderung eines Zapfenstreichs, 1780 komponiert von Luigi Boccherini. Soldaten marschieren auf, gehen vorlaut blasend zur Sache und verziehen sich wieder. Luciano Berio hat das barocke Variationenwerk für großes Orchester aufgemotzt. Angeblich stammen wirklich alle Töne von Boccherini selbst – aber eben von Berio mit Ironie durcheinander gewirbelt und neu übereinander gelegt: duftig verspielt koloriert, fast bizarr aufgeblasen, mit denkbar vielfältigen Schattierungen dazwischen – man wollte gelegentlich auflachen, wenn sich wieder mal eine Nebenstimme vorlaut einmengt.

An dem Abend hatte das Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia ausreichend Gelegenheit, seine Osterfestspiel-Würdigkeit herauszustellen. Charismatisch wo nötig im Streicherklang, absolut state of the art im Bläserkollektiv. Und wo's die Partituren selbst gerade nicht hergaben, stand Antonio Pappano mit dramaturgischen Kunstgriffen parat, um vom Pult her der Sache nachzuhelfen.

Überraschenderweise gab es noch zwei Zugaben, aber die verraten wir hier nicht. Wir wollen den Zuhörern am Ostersonntag nicht die Vorfreude nehmen.

Das Konzert wird am 31. März um 19 Uhr im Großen Festspielhaus wiederholt – Hörfunkübertragung am 7. April, 11.03 Uhr, Ö1 – osterfestspiele.at
Bilder: Osterfestspiele Salzburg / Erika Mayer