Jochanaan verschluckt sich an Marilyn Monroe

OSTERFESTSPIELE / SALOME

17/04/11 … während Herodias, die tiefschwarze Gegenspielerin der lupenrein-weißen Blondine, mit der Riesenkanone den Kaiser Herodes abknallt. Männer haben schlechte Karten in Stefan Herheims so opulenter wie langwieriger „Salome“-Deutung. Und die Musik hat überhaupt das Bummerl.

Von Reinhard Kriechbaum

altDer Orchestergraben ist ganz weit abgesenkt, auf dass nur ja kein Pult-Lämpchen das galaktische Sternengefunkel und die zum Greifen nahen Mondkrater stört. Über einem schwarzen Oval mit Lichtgefunkel hat die Bühnenbildnerin Heike Scheele eine Riesen-Mondscheibe platziert, wie einen Deckel, der die Protagonisten einkerkert. Dieser projizierte Monster-Mond führt ein Eigenleben. Er bekommt Augen, wenn die Juden ihre Propheten-Diskussion führen. Er kann sich sogar in einen Totenschädel verwandeln.

altSieht toll aus. Aber um den Preis eben, dass die Berliner Philharmoniker im Souterrain spielen, dass Feinheiten der Instrumentation (beurteilt von Parterre Mitte aus) nicht durchdringen, dass sich die Musik-Malerei und vor allem der Expressionismus von Richard Strauss weitab von der Bühne abspielen. Die Sängerinnen und Sänger werden von Sir Simon Rattle nicht geführt, vieles kommt beiläufig. Musikalisch bietet diese „Salome“, mit der am Samstag (16.4.) die Salzburger Osterfestspiele begonnen haben, kein auch nur annähernd dem teuersten Festival der Welt angemessenes Niveau.

Schon möglich, dass Emily Magee das Zeug hätte zu einer rollendeckenden Gestaltung, wenn ihr Singen recht gewichtet und nicht bloß ordentlich synchronisiert wäre zum Orchester. So klingt ihre Stimme phasenweise leider ein wenig piepsig, die Leidenschaft nur partiell aufflackernd und wenig glaubwürdig. Die Finalszene auch deshalb so kalt, weil der Hauptfigur die sängerisch-gestalterische Substanz fehlt.

Auch sonst wenig Festspiel-Würdiges, nimmt man die routinierte Hanna Schwarz (Herodias) und die als einzige souverän singende Rinat Shaham (Page) aus. Stig Andersen (Herodes) und Pavol Breslik (Narraboth), Iain Paterson (Jochanaan) wirken wie frisch eingeflogen, Fremdkörper in einem Musik-Umfeld, das auch in den Ensembles (etwa dem Quintett der Juden) bestenfalls beackert, aber nicht bestellt wirkt. Irgendwie klingt alles dann doch nach „Salome“, auch wenn wenig Text durchkommt. Die Übertitelung ist auch den Licht-Spielereien auf der Bühne zum Opfer gefallen.

altWie viel hat Regisseur Stefan Herheim doch gedacht! Nicht, dass ihm mehr eingefallen wäre als man seit je her herausliest aus dem Text von Oscar Wilde. Aber er erzählt Geschichten vom Dualismus zwischen Männerphantasien und Frauen als Objekten der Lust. Die Frauen ihrerseits sind Gedankenwesen, gespalten in Tiefschwarz und Marilyn-Monroe-Weiß. Herodias und Page sind als identische Figuren kostümiert, umschwirren Herodes und Narraboth, die beide nach der vermeintlich „reinen“ Salome schielen und doch immer in den Armen und den Schößen der Schwarzen landen. Es wird masturbiert und in der sexuell aufgereizten Atmosphäre legt sogar der heilige Johannes der Täufer Hand an seine Genitalien.

altDa ist viel Kluges im Detail, viel genau Gearbeitetes. Es ist nicht so, dass Stefan Herheim eine eigene Geschichte über das Libretto legte. Er beschreibt und deutet emsig und detailreich, so dass es schon fast umständlich wirkt. Weniger wäre mehr. Vor allem im Finale gilt es dann viele Dinge aufzulösen: Der zu küssende Mund ist natürlich nicht der des Jochanaan, sondern jener des Herodes (die Schwarze küsst), während Salome hinein steigt in den Mund des aus der Versenkung kommenden Riesenschädels des Propheten. Märtyrer- oder Liebestod durch Verschluckt-Werden? Begabte Ausleger finden Stoff in Fülle. Stefan Herheim öffnet alle Schleusen zum Hinein-Interpretieren und Herauslesen. Darüber lässt sich prächtig pseudo-intellektuell small talken.

altDer Tanz der Schleier: Der Mond bekommt ein Emmentaler-Loch, dort tanzen und vervielfältigen sich die Salomes, sie hüpfen herunter auf die Bühne. Sieben sind es am Ende, multicolor und doch alle im Marilyn-Design, Freudenmädchen für die schunkelnde und Walzer tanzende Hofgesellschaft. Sie besteht nicht bloß aus Juden. Es sind ein katholischer Bischof, ein orthodoxer Patriarch, ein Zar, aber auch ein Typ mit Napoleon-Hut und ein hoch dekorierter Militär darunter. Wie Männer halt alle gleich ticken …

Das Riesenteleskop mit Kanonen-Option ist das zentrale Ausstattungsstück. Durch das schauen nicht nur die Protagonisten, sondern auch der Regisseur. Er zeigt uns alles haarklein und barock-üppig. Bevor sich danach noch die erste müde Applaus-Hand rührte, ging nach der Premiere ein Ungewitter aus Buhrufen los. Beifall und Ablehnung haben sich dann ein wenig differenziert, für Sir Simon Rattle und Emily Magee ist der Applaus ungerechtfertigt nachsehend ausgefallen, und als Stefan Herheim auf die Bühne kam, wirkten die heftigsten Buhrufer schon ein wenig ausgeschrieen.

Zweite Aufführung am Ostermontag, 25. April. - www.osterfestspiele-salzburg.at
Bilder: Osterfestspiele / Forster
Zur Hintergrund-Geschichte {ln:Aus Salzburg nach Madrid}