Heile und unheile Welt

OSTERFESTSPIELE / BERLINER PHILHARMONIKER / RATTLE / DENOKE

20/04/11 Sage noch einer, Gustav Mahler habe kein Hornkonzert geschrieben! Sir Simon Rattle hieß im Walzer-Mittelsatz von Gustav Mahlers Fünfter Symphonie Stefan Dohr, den Ersten Hornisten, sich dort aufzustellen, wo sonst nur „echte“ Solisten in der Sonne baden dürfen.

Von Reinhard Kriechbaum

Von entspanntem Sonnenbad natürlich keine Rede, das Solo-Horn hat immens viel zu tun in diesem Satz. Es ergaben sich g’spaßige räumliche Wirkungen zu den Statements etwa der Solotrompete oder anderen Solo-Bläsern in den hinteren Reihen. In Sir Simon Rattles Auffassung hat dieser Satz, eine der großen Walzer-Paraphrasen in der Musikgeschichte des Fin de siècle, einen charmant-jovialen Touch, mehr Witz als Ironie. Grell-aggressive Töne, die man durchaus rauslesen könnte, gab es da schon gar nicht.

Das passte insgesamt gut zu einer Interpretation, die auf Versöhnung und – will man’s ein wenig bösartig sagen – heitere Nostalgie aus war. Mahlers „Fünfte“ gilt ja als jener markante Bruch, mit dem der Komponist sich davonmachte aus den Gefilden von des Knaben Wunderhorn. Nach mancher symphonischer Tortur – so eine gängiger Lesart – wird erst im Finalsatz das Ruder noch einmal auf die dem Leben zugewandte Seite herumgerissen.

Bei Sir Simon Rattle war das ein wenig anders: Schon nach dem versöhnlichen Trauermarsch wurden die letzten Holzbläser-Melodien so versöhnlich ausgesungen – wie ein Signal, dass die Alte Welt trotz aller Schmerzen für Gustav Mahler noch im Grunde heil war. Und so wurde diese Wiedergabe zu einem tendenziell unkomplizierten Genuss: artifiziell-verspielt im rhythmischen Federn der Holzbläser (zweiter Satz), ohne sentimentalen Überschwang, aber genau artikuliert im berühmten Adagietto – und schließlich ein munteres Schnattern und Schwätzen mit all den Heiterkeiten, die Mahler fürs Finale bereit hält.

In solchen Phasen ist immer wieder die Konditionsstärke der Berliner Philharmoniker zu bewundern, die schließlich gestern Dienstag (19.4.) den vierten Abend en Suite gefordert waren. Lustvoll und akkurat wurden in dem Finalsatz die üppig-wuchernde kontrapunktischen Finessen aufgeblättert.

Vor der Pause düstere Töne: Schönbergs Melodram „Erwartung“ mit der Sopranistin Angela Denoke. Sir Simon Rattle erlaubt keine Gefühlsduselei bei diesem großen Verzweiflungsgesang, er lässt die Klangfarben präzis herausarbeiten, greift den Symbolismus eher in der Graphik eines Max Klinger denn in üppiger Ölmalerei. Das war allemal eine gute Voraussetzung für Angela Denoke, die ohne jedes Outrieren das Erzählerische im Text nutzen und Sinnlichkeit wie Tragik subtil einfließen lassen durfte. Die Größe dieser charismatischen Wiedergabe war ihre Zurückhaltung.

Der Beifall danach wirkte freundlich, aber auch ein bisserl ratlos. Wer durch die Reihen blickte, sah kaum jemand im Publikum den Text mitlesen (wofür man eigens das Licht etwas heller ließ, wie Rattle vor Beginn kund tat). Irgendwie ist das Osterfestspiel-Publikum ja doch noch aufs Kulinarische eingeschworen und nimmt heuer die ungewohnte die Herausforderungen der Orchesterkonzert-Programme eher nolens volens zur Kenntnis. Jubel natürlich nach Mahlers „Fünfter“.

Wiederholung am Karfreitag, 22. April, um 18.30 Uhr im Großen Festspielhaus. – www.osterfestspiele-salzburg.at
Bild: www.askonasholt.co.uk / Johan Person