Des ein'zgen Heiles wahrer Quell

OSTERFESTSPIELE / PARSIFAL

24/03/13 Es beginnt in einem zeitlosen Raum getragen von gläsernen schwebenden Säulen, mit einer Projektionsfläche für Phantasie und Assoziation. Es endet mit gestellten Bildern aus einem Passionsspiel, mit plumper Umsetzung christlicher Ikonographie. Dazwischen: Fünf Stunden Musik und Gesang vom Edelsten, vom Feinsten.

Von Heidemarie Klabacher

Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle Dresden haben die Sängerinnen und Sänger durch diesen Parsifal nicht nur „begleitet“, sondern „geleitet“: auf Händen getragen mit einem samtigen durchhörbaren Orchestersound, der bei aller Klangfülle und Opulenz, den Gesang nicht ein einziges Mal zudeckte. Linen konnten aufblühen, Spitzentöne erstrahlen, ganz ohne Kraftaufwand, in allen Partien. Christian Thielemann schien auf jeden Glanzeffekt, besonders im Bläsersatz, bewusst zu verzichten - um der umso überzeugenderen Wirkung einer amalgamierenden Verschmelzung von Instrumental- und Vokalpart willen.

Die ohnehin ein wenig introvertierte Parsifal-Partitur, aus der höchstens das Erlösungsmotiv in unterschiedlichen Farben und Klangfacetten herausblüht, bekam durch diese scheinbare Zurückhaltung erst recht einen magischen Sog. Allein schon deswegen, weil es keiner Anstrengung (ja kaum der deutschen Übertitel) bedurfte, um den Text zu verstehen. Eine Art Pfingstwunder zu Ostern war das. Wie Stephen Milling die großen Erzählungen des Gurnemanz zu deklamieren versteht! Wendig, geschmeidig, fast rezitativisch selbstverständlich, liedhaft schlank und zugleich mit klangvollem Schmelz.

Wolfgang Koch singt in dieser Produktion die Partien des leidenden Amfortas und des zaubrischen Klingsor. Das vermittelt den (von Regisseur Michael Schulz vermutlich angestrebten) Eindruck, die beiden Figuren seien Ausprägungen einer Persönlichkeit: Tatsächlich fügt sich „der Mensch“ ja einen Gutteil seiner Leiden und Wunden selber zu. Das verstärkt aber auch zusätzlich den Eindruck der musikalisch-klanglichen Geschlossenheit der Aufführung. Wolfgang Koch verleiht jedenfalls beiden Seiten seiner Doppelgestalt darstellerisch und sängerisch bewegende Tiefe.

Die kurzen Einlassungen des Gralshüter-Ahnen Titurel steuert souverän Milcho Borovinov bei. Johan Botha singt den Parsifal strahlend klar, ohne Anstrengung und Kraftaufwand, mit reichem Timbre, stimmlich deutlich wendiger als darstellerisch. Michaela Schuster als Kundry ist der Glücksfall einer Sängerin, die stimmlich-technisch in jeder Phrase über ihrer Partie steht, und ihrer Figur zugleich mit der Flexibilität einer Schauspielerin Leben und Tiefe verleiht.

Auch kleineren Partien sind hervorragend gecastet, Blumenmädchen und Knappen überzeugten stimmlich und darstellerisch ebenso, wie zwei Gralsritter oder die ätherisch strahlende Stimme aus der Höhe.

Dieses Personal nun siedelt Regisseur Michael Schulz im Bühnenbild von Alexander Polzin an. Die Gralsburg ist ein weißes Viereck auf dem Boden, dessen niedrige Schwelle zu überschreiten für alle Betroffenen immer wieder eine Herausforderung darstellt. Im ersten Bild dominieren hohe gläserne Säulen. Das erinnert natürlich an die Zauber-Spiegel-Säule in Wolframs „Parzvial“. Jedenfalls sind diese bühenraumhohen Glassäulen eindrucksvolle Projektionsflächen, die die Geschichte gleich einmal in ein abstraktes Nirgendwo verweisen: modern und doch wohltuend zeitlos ist dieses erste Bild. Da erzählt Gurnemanz etwa von den Gefahren, die den zur Keuschheit verpflichteten Gralsrittern im Wonnegarten des Zauberers Klingsor gleich in der Nachbarschaft drohen, während einer der Keuschen derweil lustvoll lüstern eine dieser Säulen umarmt. Prompt bekommt der Knappe von Gurnemanz eine hinter die Ohren. Für Augenblicke kommt beinahe Ironie in die präzise Personenführung. Weniger logisch, eher lächerlich, dass weiß gewandete Gralsritter die ankommende Kundry wie im Ringelreihen umtanzen: „Da schwingt sich die Wilde herab.“

Mit dem Ankommen Kundrys, dem sich vorbereitenden Gralsritual, dem Auftritt des versehrten Amfortas und des hereinplatzenden Parsifal füllen sich die gläsernen Säulen langsam mit weißem Rauch. Darauf projiziert werden immer dichtere Bilder (Videokonzept und Realisation Claudia Rohrmoser) von Schlieren und Blasen, Gesichtern und Fratzen. Diese schwebenden Gestalten verstärken in ihrer Ungreifbarkeit den Eindruck des „Aus der Welt gerückt seins“ des ganzen Grals-Settings.

Leider geht dieser zeit- und ortlose Kontext schon im zweiten Bild verloren: Wir sind jetzt in Klingsors Zauberschloss. Der Grundriss ist jener der Gralsburg. Das weiße Geviert ist jetzt voll gestellt mit Gerümpel aus einer Antikensammlung. Nasenlose oder sonst wie angeschlagene Herrschaften stehen nicht nur auf dem Boden herum, sondern hängen spiegelbildlich auch von der Decke. Die Blumenmädchen erinnern mit ihren weißen hohen Lackstiefeln und Uniformen an Stewardessen oder Bond-Girls aus den Sechzigern. Die Chordamen tragen duftige Kleidchen, deren Prints ebenfalls Alexander Polzin entworfen hat (die Originale hängen im Foyer des Großen Festspielhauses). Die Blumenmädchen versuchen bekanntlich vergeblich, Parsifal zu umgarnen, um ihn ebenfalls der Macht Klingsors zu unterwerfen. Selbst Kundry hat mit ihrem wahrhaft verführerisch facettenreichen Timbre keine Chance, beim „reinen Toren“. Zu ihrem eigenen Heil: Gelöst und glücklich, gar nicht so sehr „erlöst“ als eben „gelöst“ spaziert sie ins Finale. In solchen Details ist die Regie von Michael Schulz durchaus bis zuletzt überzeugend.

Der dritte Aufzug spielt auf einer Art Eisscholle. Mit der Erlösung des buhlerischen Gralskönigs und der Einsetzung eines keuscheren Nachfolgers geht es ans Eingemachte. Ist jetzt der Bühnenraum auch wieder leer geräumt, werden die Bilder doch reichlich plakativ: Ein Bilderreigen mit Versatzstücken christlicher Ikonographie zieht vorüber. Kundry, die ja verflucht war, als ewige Verführerin ewig zu leben, weil sie einst den sterbenden Heiland am Kreuz ausgelacht hat, schlüpft in die Rollen schier aller sündigen und wohltätigen Frauen, wie sie in Bibel und Heiligenkalender stehen: Sie wäscht Versehrte und Tote (die Gralsritter verhungern inzwischen reihenweise, weil Amfortas selber sterben will und den nährenden Gral nicht mehr herausrückt), salbt Hände und Füße sogar mit ihrem Haar (ein echter Tiefpunkt).

Dazu gehört jetzt endlich eine doppelte Christusfigur erwähnt, die während der gesamten Oper über die Bühne schreitet: ein Heiland mit Dornenkrone von bildhauerisch untadeliger Gestalt und dessen schwarz verhülltes Alter Ego (Ingo und Sebastian Schiller). Der eine stirbt endgültig, der andere legt dafür seine schwarze Kleidung ab.

Er und Kundry, diese wurde von Parsifal inzwischen erlöst und sogleich getauft, verlieben sich und wandern als glückliches Pärchen durch die insgesamt erlöste Welt. Das gefällt aber einigen Gralsrittern ganz und gar nicht: Der ehemalige Jesus wird zurück ans Kreuz, Kundry ihm zu Füßen in die Knie gezwungen als christliche Büßerin mit erhobenen gefalteten Händen...

Haben jetzt die Gralsritter die Erlöstheit nicht ausgehalten? Fehlt ihnen das blutige Ritual, kaum dass es damit vorbei ist? Das wird wohl mit faschistischem Gedankengut und/oder dem der Katholischen Kirche nicht auszutreibenden Opfergedanken zu tun haben. Der plumpe Bilderbogen des dritten Aufzugs hat die anfänglich so große Lust zum Dechiffrieren längst vertrieben. Nicht aber die Freude über die musikalisch und sängerisch so überzeugenden und bewegenden Weihestunden.

Parsifal – die zweite Aufführung bei den Osterfestspielen ist am 1. April um 17 Uhr im Großen Festspielhaus - www.osterfestspiele-salzburg.at
Bilder: OFS