„Prangende Paare“ auf fahrbarem Untersatz

OSTERFESTSPIELE / GÖTTERDÄMMERUNG

28/03/10 Nach vier Jahren K(r)ampf starren die wenigen Überlebenden betroffen in den Swimmingpool, in dem soeben Vergangenheit und Zukunft untergegangen sind. Farbe und Leben in der Musik der "Berliner" unter Sir Simon Rattle haben auch in vier Jahren "Ring" kein gleichwertiges Gegengewicht auf der Bühne gefunden.

Von Heidemarie Klabacher

altNach froher Rheinfahrt kaum dem Nachen entstiegen, bindet er den Intriganten in der Halle zu Worms auch schon seine ganzen Geheimnisse auf die Nase. Blutsbrüderschaft schwört er schneller, als andere Helden ihre Feinde vom Pferd stechen. Wenn er nicht „treu“ wäre, hätte er sich zum Dank für wenig „Vergnügen“, von den Rheintöchtern den Ring abschwatzen lassen, räsoniert er. Und wir nehmen ihm das durchaus ab - wie auch den kleinkindhaften Trotz, mit dem sich dieser Siegfried dann doch immer wieder daran erinnert, dass er selber weiland dem Wurm das Kleinod abgewonnen und niemand sonst Anspruch darauf hat…

Den naturburschenhaften Siegfried von Stefan Vinke muss man einfach gern haben. Dieser Siegfried ist ein liebenswürdig reiner Tor, der mit seiner unschuldig dahertappenden Naivität wie aus einem Schwesternwerk der Weltliteratur herübergestapft kommt. Nur fragt er nicht wie Parzival zu wenig, sondern redet - im Gegenteil - viel zu viel. Dies aber sehr eloquent:

Denn stimmlich ist Stefan Vinke gar nicht der Typ strahlend-stählerner Held: Geschmeidig und wendig auf Linie singend, erzählt er seine Geschichten mehr, als er sie stemmt. Das ist auch gut für die Stimme: Wenn er im dritten Aufzug Hagens Mannen (im cremeweißen Golf-Outfit, Schießprügel statt Schläger über der Schulter) von seinen jugendlichen Heldentaten erzählt, kommt das locker und frisch mit viel Text über die Rampe.

altDass dieser ebenso freundliche, wie bemitleidenswerte Siegfried so viel Kontur hat, scheint auf das Konto von Stefan Vinkes darstellerischem Vermögen zu gehen - und weniger auf das der Regie-Ideen von Stéphane Braunschweig.

Sonst hätte Braunschweig  wohl die Brünnhilde von Katarina Dalayman nicht gar so hilflos im Regen stehen lassen. Wie die Ärmste die Hände ringen und im Leerlauf Kreise ziehen muss vor der aufgebarten Leiche Siegfrieds (der sie unwissend-wissend schmählich betrogen hat): Das ist Mitleid erregend. Brünnhilde wünscht sich in ihrer großen Schluss-Szene „Starke Scheite“ - wahrscheinlich um sich vor der Peinlichkeit in den Flammentod zu retten. Leider kulminierten zum Schluss hin auch die klanglichen, technischen und konditionellen Probleme, die Katarina Dalayman immer wieder zu schaffen gemacht hatten. Dennoch: Solche massive Buhrufe hat die Sänger-Darstellerin einer solch monumentalen Rolle, die ganz ohne Personenführung auskommen muss, nicht verdient.

Michael Petrenko, stimmlich souverän, braucht offensichtlich keine Regie: Sein von Hass, Eifersucht, und Minderwertigkeitskomplexen geplagter und zerfressener Hagen ist eine geradezu moderne begreifbare Figur. Er macht deutlich, wie aktuell die Schicksale der Helden und Anti-Helden grauer Vorzeit noch immer sein könnten. Er gibt den scheinbar souveränen Intriganten und Fädenzieher aus dem Hintergrund, kauert sich aber embryohaft auf seinen Thron zusammen, wenn niemand herschaut. Er hat keine Chance gegen die übermächtige Vaterfigur: Dale Duesings (überragend wendiger und gefährlich behutsam klingender) Alberich vergiftet in seinem Kurzauftritt noch immer die Träume des Sohnes. Auch hier: Psychologie zuhauf - aus der sich glaubwürdige aktuelle Figuren formen ließen.

altGerd Grochowskis Gunther ist genauso lächerlich, wie vermutlich jeder Mann, der sich seine Frau von einem anderen erobern lässt und sich dann wundert, wenn die Dame zickt. Emma Vetter ist seine Schwester Gutrune, die sich den naiven Siegfried zum Gemahl erkiest, auffällig nur durch das weiß wallende Nachthemd. Anne Sofie von Otter als Waltraute bringt mit ihrem Solo-Walkürenritt zum Felsen der Schwester frischen Wind und beschert ihrem Publikum ein kostbares sängerisches Intermezzo.

Das fahrende Brautbett, auf dem Gunther in Imperatorenhaltung über der gedemütigten Brünnhilde triumphiert, wäre in seiner Lächerlichkeit der Tiefpunkt dieser „Regie“, käme dann nicht noch ein zweites Brautbett angefahren, auf dem Siegfried und Gutrune turteln: Zwei „prangende Paare“ auf fahrbarem Untersatz.

Treppen, die ins Nichts führen und Erdböden, die sich zu ordentlichen Vierecken unter den Heldinnen und Helden auftun, gibt es auch wieder. Falls sich wer Sorgen macht um die drei roten Empire-Sessel aus den ersten Teilen: Auf ihnen spinnen die Nornen ganz zu Beginn letzte Schicksalsfäden - und räumen sie nach dem „Ende ewigen Wissens“ säuberlich in die Requisitenkammer. Vermutlich für weitere leitmotivische Verwendung.

altWie Wagner in der Lesart der Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle klingt, ist im vierten „Ring“-Jahr bekannt: Opulent und vielfarbig schillernd, dramatisch in der Grundhaltung, voll vorwärts drängender Energie, niemals selbstgefällig im eigenen Wohllaut badend, bei aller Intensität nie vorlaut, dafür immer wieder erstaunlich transparent und damit Text- und Sänger-freundlich… Muss man noch einmal im Detail von den grandiosen Blechbläsern schwärmen und deren unheimlichen Sounds „aus der Tiefe“? Von den wundersamen Klarinettensoli oder den unendlich wogenden Cellokantilenen…

Dass all dieser gestalterische Aufwand, der oft eigenwillige aber immer charismatische Einsatz im Orchestergraben, dass Farbe und Leben in der Musik kein gleichwertiges Gegengewicht auf der Bühne gefunden haben (in Regie und Personenführung, aber auch in der sängerischen Gesamtleistung) ist das letztlich leider Unbefriedigende an diesem Ring-Projekt.

Bilder: Osterfestspiele / Monika Rittershaus