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Karfreitags-Wandertag mit Musik-Marterln

OSTERFESTSPIELE / MATTHÄUSPASSION

29/03/10 Die Kozena macht sich gut als büßende Magdalena, wenn sie zu Füßen des Philharmoniker-Konzertmeisters Daniel Stabrawa hockt und ihrer Verzweiflung Ausdruck gibt: "Erbarme dich mein Gott, um meiner Zähren willen." Da will man solche gleich sturzbachartig mitvergießen.

Von Reinhard Kriechbaum

altEs war keine gewöhnliche Matthäuspassion, die sich Sir Simon Rattle fürs erste der Osterfestspiel-Konzerte vorgenommen hatte. Eine "Ritualisierung" durch Peter Sellars - was genau muss man sich darunter vorstellen? Zuerst einmal etwas sehr Plattes. Dass der Chor zur Eröffnung mit hängenden Köpfen daherkommt, ist so banal wie das In-den-Schlaf-Sinken der gerade nicht beschäftigten Chorhälfte im Garten Gethsemanae. Schau-Nachhilfe für die Hartnäckigsten unter den Nicht-Zuhörern?

Im zweiten Teil gewinnt die Sache dann aber plötzlich an Aussagekraft, weil Sellars aus den Sängern und den jeweiligen Instrumentalsolisten kleine lebende Andachtsbildchen schafft. Das ist zwar Pietismus in seiner schlichtesten, naivsten Ausformung, aber solche Musik-Marterln haben schon ihren Charme, wenn sie durch Bachs transzendente Musik legitimiert sind. Und die Sache funktioniert vielleicht auch deshalb so gut, weil Sir Simon Rattle ebenfalls sehr entschieden auf den Pietismus hinsteuert. Er pfeift zwar auf Aufführungspraxis, aber das Ergebnis ist - nicht zuletzt dank formidabler solistischer Bläser-Leistungen - zuletzt in sich stimmig.

altZwei Streichergruppen, weitere "Inseln" für Bläsergrüppchen und das Continuo, die beiden Chöre auf Sperrholzquadern sitzend, dann und wann ein ritualisierter Bühnenarbeiter, der ein Pult an seinen Platz stellt. Pilatus wäscht seine Hände seitlich auf dem Rang in Unschuld: Es ist ein Karfreitags-Wandertag für die Ausführenden und auch der Dirigent hat mehrere Arbeitsplätze auf der Riesenbühne. Man kann Rattle an diesem Abend von allen Seiten beim Dirigieren zusehen. Meist gelingt es ihm, die oft ansehnlichen Distanzen zwischen den Musikern zu überbrücken. Nicht immer freilich - das ist eben der Tribut solcher szenischer Experimente.

Wäre es nicht zielführender gewesen, die Energie ins Synchronisieren des singenden Personals zu investieren? Mark Padmore ist ein schlicht genialer Evangelist, ein Erzähler, dem man in jeder Episode wie gebannt zuhört. Rhetorische Meisterschaft, Stilbewusstsein und meisterhaft beherrschter Umgang mit den Stimm-Farben - das war eine singuläre Leistung. Christian Gerhaher als Jesus legt seine Partie radikal wort-bezogen an, reduktionistisch bis zum Beinahe-Sprechen. Zu solchen Haupt-Protagonisten hätte es schon genauerer stilistischer Entsprechung in den anderen Partien bedurft. Freilich: Thomas Quasthoff ist ein Luxus für die Bass-Arien. Auch Magdalena Kozena hat, nachdem sie den Stimmsitz dann doch gefunden und das nervöse Flackern überwunden hatte, einige eindringliche Episoden gestaltet. Camilla Tilling suchte den ganzen Abend vergeblich nach ihrer Stimme. Was in der kleinen Armee der Ariensänger und solistischen Stichwortbringer fehlte, war einfach die stilistisch koordinierende Hand.

Der Rundfunkchor Berlin durfte immer wieder den Text, den man extrem schlecht verstanden hat, mit Mimik und Gestik untermalen, das gehörte zu Sellars "Ritualisierung". Viele (nicht alle) haben ihren Part am Sonntag (28.3.) schon auswendig gekonnt.

Die zweite Aufführung ist am Karsamstag, 3. April, 18.30 Uhr, Großen Festspielhaus. - www.osterfestspiele-salzburg.at
Probenfotos: Salzburger Osterfestspiele / Monika Rittershaus

 

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