Und Dmitri tanzt…

OSTERFESTSPIELE / ORCHESTERKONZERT / GATTI

30/03/15 Ob er etwas Vertiefendes zur Kombination Tschaikowsky und Schostakowitsch sagen könne, wurde Christian Thielemann gestern Sonntag (29.3.) bei der Osterfestspiel-Pressekonferenz gefragt. Thielemann trocken zum neben ihm sitzenden Orchestervorstand der Sächsischen Staatskapelle: „Was haben wir uns eigentlich dabei gedacht?“

Von Reinhard Kriechbaum

Der eine sei ein symphonischer Nachfolger des anderen. Naja. Ist aber auch egal. Dmitri Schostakowitschs „Zehnte“ spricht ohnedies ganz für sich – beziehungsweise spricht sie davon, dass damals – 1953 – für den Komponisten ein bedrückender Lebensabschnitt zu Ende gegangen war. Einer von mehreren solchen Zeitspannen, in denen die realsowjetische Kunst-Doktrin ihn in seiner künstlerischen Freiheit beschnitten hat und er sich auf vielfältige Weise malträtiert fühlte. Im konkreten Fall lag Stalin auf der Totenbahre, und Schostakowitsch machte sich flugs ans Komponieren. Die Bilanz düsterer Jahre der Repression, das ist im Prinzip das Programm der Symphonie e-Moll op. 93. Ein Befreiungsschlag mit vielen Noten.

Im ersten Konzert der Osterfestspiele am Sonntag (29.3.) stand Daniele Gatti am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden, die gerade in diesem Werk ein schönes Bild ihres unverwechselbaren Klanges abgeben durfte. Vom Timbre der Klarinetten, von den tieferen Streichern bekam man in der üppigen Melancholie des Kopfsatzes klangsinnliche Impressionen. Mit intensivem Atem wusste Daniele Gatti gerade diesen eröffnenden Symphoniesatz zu erfüllen, der ja ein ganz anderes Kaliber ist als das darauffolgende Scherzo, das angeblich ein satirisches Bild auf den verblichenen Diktator zeichnet.

Bemerkenswerterweise kamen in dieser Groteske viele leise (oder richtiger: halblaute) Farben zum Tragen, und das gilt für Daniele Gattis Gesamtsicht auf dieses Werk. Auf die quasi übervorsichtigen, verhaltenen Tanzschritte setzte Gatti insbesondere. Und Dmitri tanzt…? In drei Sätzen tut er’s zurückhaltend und doch nicht ungestraft – und im vierten dann auch zuerst nicht mit entfesselter Kraft, sondern erst nach und nach Mut fassend. Deuten wir mal so diese Intensiv-Stunde durchaus effektbewusster Musik-Erzählung.

Wie nervös der traurige erste Satz doch das Osterfestspiel-Publikum gemacht hat, das sich an dem Abend überhaupt nicht einkriegen konnte vor lauter Husten, Räuspern und Gekeuch. Wie sich manche im Konzertsaal aufführen! Da scheinen immer wieder kleine Steigerungen möglich. Manche aus der Osterfestspiel-Gästeschar sind als wohlorganisierter Musik-Störfaktor heuer offenbar besonders gut drauf.

Bei Tschaikowsky war es sogar noch schlimmer, und das mag einen guten Grund gehabt haben: Daniele Gatti und der Solist Arcadi Volodos setzten nämlich im b-Moll-Klavierlkonzert so ganz und gar nicht auf die schwelgerischen melodischen Abschnitte. Manch ungewohnte Zäsur ist (in allen drei Sätzen wohlgemerkt) aufgetaucht.

Brüche, über das in diesem Konzert gerne jovial drübergespielt wird, wurden deutlich markiert. Dass Zeitgenossen (vor allem der Widmungsträger Nikolai Rubinstein) zuerst das Bruchstückhafte an diesem Konzert wahrgenommen haben, verblüfft ja eigentlich heutige Hörer. Hier nun haben der Dirigent und der Solist genau in diese Richtung Hand angelegt.

Arcadi Volodos ist immer gut für dynamische Überraschungen, er hämmert mit der linken Hand manchmal drauflos, dass Holz und Metall zu knirschen scheinen, und er zaubert mit der Rechten fast zeitgleich duftigste Töne hervor, die beinah verloren gehen, sowie sie den gesicherten Raum unter dem schrägen Schalldeckel verlassen. Solche unvermittelte Kontrastwirkungen gelingen Arcadi Volodos sogar im eigentlich folkloristisch angehauchten Finalsatz auf engstem Raum. Daniele Gatti seinerseits hat das Orchester in Schach gehalten. Jede Generalpause noch ein wenig länger: Das hat so manche Zuhörer deutlich nervös gemacht.

Wiederholung am 5. April im Großen Festspielhaus – www.osterfestspiele-salzburg.at

Bild: Osterfestspiele / Matthias Creutziger