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Zurück ins Leben, um unglücklich zu werden?

PFINGSTFESTSPIELE / ORPHÉE ET EURYDICE

28/05/23 Wenn du zum Augenblicke sagst, verweile doch, du bist so schön... Dann hebt sich Vergänglichkeit aus der Zeit. Und Raumzeit wird zur kulturellen Erfahrung. Glucks Orphée et Eurydice weist über berückende französische Manier hinaus in den tänzerischen Beziehungskosmos John Neumeiers.

Von Erhard Petzel

Alle die zusätzlichen Elemente der Pariser Fassung von 1774 für die tanz-versessenen Franzosen – die andernfalls als überflüssige Längen geahndet werden könnten – atmen einen Sog allumfassender Synästhesie. Eine stringente Handlung wird erklärt, indem die Konturen von Realitäten und mythischen Fiktionen im Fluss menschlichen Wesens ausfransen. Und das bei scharf gezeichneten Bildern und artifiziell gesetzten Techniken in Bild, Ton und Bewegung.

Euridike bekommt am Samstag (27.5.) im Großen Festspielhaus gleich zu Beginn einen spezifischen Charakterdrall, der den Rest des Geschehens präjudiziert. Sie kommt zu spät zur Probe des Balletts, das ihr Gatte inszeniert und ziert sich mit affektiertem Primadonnen-Getue. Seine Interventionen fruchten bei ihr nichts – er hat sie halt nicht im Griff, wie man das früher formuliert hätte. Wütend verlässt sie das Ensemble und kracht mit dem Auto in eine Hauswand.

Dieser aktualisierende Rahmen lässt sich (mit Abstrichen wegen textlicher Lokalbezüge) gut integrieren und ermöglicht einen Schluss jenseits des Happy Ends: Orpheus bereitet Eurydike eine ideelle Auferstehung in seiner Ballettinszenierung. L’Amour ist ein ganz konkreter Assistent in Orpheus’ Truppe und begleitet ihn durch den Traumtrip der Unterweltgeschichte. Sein daher nicht mehr göttliches Gebot bezieht sich auf die Verlebendigung der verlorenen Frau durch verewigende Kunst.

In den Parallelen von realer Ballettebene, mentalen Rückbezügen und kommentierendem Tanz mischen sich Zeitebenen und emotionale Reflexion, so dass Amor zur konkreten Rolle auch die mythische verkörpert und als Frauenrolle sich mit der Idee der geliebten Frau überlappt. Jedenfalls ist Orpheus mehr ein von zwei Frauen kommandierter Menschenm, denn ein großer Held. Seine Brüchigkeit findet im schlanken hohen Tenor Maxim Mironovs den überzeugenden Niederschlag. Zeigt er sich sicher in den Bravour-Parts, geht er in den Gluck’schen Herrlichkeiten so recht zu Herzen. Szenenapplaus setzt sich durch nach J’ai perdu mon Euridice, während solcher sonst erfolgreich von der Camerata unter Kazuki Yamada unterbunden wurde (sowieso würde Dazwischen-Paschen die Stimmung zerstören). So kratzbürstig sich Eurydike Orpheus gegenüber auch verhält, Andriana Chuchman harmoniert mit weichem Samt, während L’Amour Lucia Martin-Cartón als schneidige Bestimmerin aufzeigt.

Der Bachchor ist quasi als Teil des Orchesters im Graben positioniert und kann sich mit diesem auf die sensible Ausdeutung des Klanges konzentrieren. Die freie Bühne gehört dem Hamburg Ballett John Neumeier in diversen Gruppierungen mit delikater Ausstattung vom Alltagszustand einer Probe ins Schwarz der Trauergemeinde, leichenfarben geäderte Furien mit dunklem Zerberus-Trio, klassisch strenges Weiß der seligen Geister und monochrome Ausstattungen der bukolischen Schlussballette als Tribut des Künstlers an die unsterblich Geliebte. Welche Fülle an Ausdruck, eindrücklicher Inspiration und Bewegung im Einklang von innen und außen. In die reduzierten Szenen wirkt der Tanz nach durch seine Abwesenheit. Dazu kongenial ein Bühnenraum von kühl klassischer Abstraktheit des Elysiums bis zum schwarzen Nichts des Verlusts.

Links vorne steht durchgehend eine Bank mit Baum als Refugium stillen Rückzugs und Ersatz für den mythischen Wald. Der Baum findet sich in der Unterwelt als Spiegelverkehrung an der Decke wie auch der Nachen Charons. Ein Zimmer-Element im Bühnenhintergrund aus Tür und Fenster und Bett nach Bedarf, eine akustische Klangmuschel für den Gesang dort, bricht auf zum Unfallort Eurydikes. Sphärisch abstrakte Elysiums-Architektur bietet Aufenthalts-Nischen für den Ortsfremden, bildet aber auch Wände und zwingt zur labyrinthischen Choreografie. Arnold Böcklins Bild Die Toteninsel sowie Eurydikes Hochzeits-Schleier werden zum Leitmotiv, ein Foto ihres Gesichts oder Orpheus’ zur Ballett-Regie. Als deren reale Inspirationsquelle wird aus dem Bild aber ein überdimensionales Tor zur Unterwelt, durch das sich die Furien Bahn brechen.

Macht Kunst alles wieder gut? So viele schöne Paare im Reigen gegen die Urangst und die schwarzen Zweifel in der Beziehung. „Du bringst mich zurück ins Leben, nur um mich unglücklich zu machen.“ Liebe aus dem Diktat einer Regie als Mythos an sich, sehrende Illusion und Lebens-Inszenierung. Heller Jubel, der sich zum Aufstand steigert, als Neumeier sich dem Publikum stellt.

Bilder: SF / Kiran West
www.salzburgerfestspiele.at

 

 

 

 

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