Vom glücklichen Wankelmut Gottes

PFINGSTEFESTPIELE / ISACCO FIGURA DEL REDENTORE

19/05/13 Jeder Bogenstrich ein Stich ins Herz: Der Vater soll den Sohn opfern. Und zwar soll Isaak genau dem Gott geopfert werden, der dem alten Ehepaar Abraham und Sara den Knaben als künftigen Stammvater unzähliger Völker geschenkt hat.

Von Heidemarie Klabacher

Mit einem musikalisch und sängerisch fulminanten und einem sogar theologisch interessanten Oratorium feierten die Pfingstfestspiele den Pfingstsonntag 2013: Das Oratorium „Isacco figura del Redentore“ von Niccolò Jommelli erzählt die Geschichte von der Opferung und Rettung Isaaks.

Dank den Ausgrabungen von Riccardo Muti, Cecila Bartolis Vorgänger in der künstlerischen Leitung der Pfingstfestspiele, ist Niccolò Jommelli in Salzburg schon lange kein Unbekannter mehr. Erinnert sei an „La betulia liberata“ oder „Demofoonte“. Nun also mit „Isacco figura del Redentore“ ein weiteres Oratorium aus der Feder des „Italienischen Gluck“: Ein fulminanter Jommelli, einmal mehr!

Der Komponist Jommelli und der Librettist Metastasio gehen die - immer wieder unbegreifliche - alttestamentliche Geschichte ganz neutestamentlich an. (Denn dass Jahwe keine Menschenopfer mehr will, hätte er ja wohl auch auf weniger unmenschliche Art und Weise mitteilen können). Beim Abschied tröstet Isacco die verzweifelte Mutter, die schon weiß, dass der Knabe ermordet werden soll. Wenn er dann zum treuen Diener sagt: „Nimm dich statt meiner ihrer an“, dann klingt das wie ein Zitat aus dem Johannes-Evangelium: „Mutter, bis ich zurück bin, ist er nun dein Sohn.“ Dass just bei diesem Rezitativ die Orgel in den Vordergrund tritt, verstärkt diesen Eindruck.

Die auf diesen rezitativischen Dialog folgende große Arie Isaacos „Mutter, Freund! Ach weinet nicht“ könnte dem Jesus in einem Bach-Oratorium in den Mund gelegt werden. Nur ist Isacco halt ein Countertenor.

Franco Fagioli sang bei der Aufführung der Pfingstfestspiele im Großen Saal des Mozarteums die Titelfigur: wortdeutlich, stimmlich wendig, klanglich aus einem Guss, auf einem einzigen präzisen Stimmsitz über alle Lagen hinweg. Seine erste Arie war noch ein braves klares „unschuldiges“ Gebet. Der Dirigent Diego Fasolis am Pult des Originalklangensembles „I Barocchisti“ hat diese Arie so transparent und überirdisch schön begleitet, dass man selbst die im pianissimo (quasi von einem Engel auf der Wolke gezupfte) Laute noch genau über dem klaren Streichern hören konnte.

Ganz anders dann die hochemotionale dramatische „Abschiedsarie“ Isaccos, die den übermenschlichen (oder unmenschlichen?) Reinheitsfimmel und Opferungswillen wieder herunterholt auf die berührende Ebene menschlichen Leidens. Unendlich lang, virtuos aufblühend und in sich zurücksinkend gestaltete Franco Fagioli den Klagelaut auf das Wort „Mater“ in der Wiederholung.

Sara hat von Metastasio übrigens eine recht vernünftige Erklärung für die scheinbar so unvernünftige Opferforderung Gottes in den Mund gelegt bekommen: „Schon ohne Beweis kannte Gott Abraham. Doch Abraham kannte sich selbst nicht.“ Gott habe ihn die Stärke lehren wollen, als Beispiel an Glaube und Standhaftigkeit… Roberta Invernizzi war die stimmlich brillante und in der Vermittlung bewegend menschliche Sara: Eine kluge Frau, die tief in die Psyche der Menschen – vielleicht sogar ihres Gottes – blickt. Ein geradezu modernes Psychogramm hat Roberta Invernizzi mit ihrer lebendig und facettenreich gestalteten Arie „Sollicito, dubbioso“ entwickelt.

Technisch und klanglich ebenso brillant und facettenreich hat Javier Camarena den Part des Stammvaters Abramo gestaltet: Beredete Wendigkeit eines Alte Musik-Experten ging mit dem stimmlichen Schmelz eines italienischen (wenn auch in Mexiko geborenen) Operntenors eine packende Verschmelzung ein: Nicht nur, aber besonders in der großen Arie „Col tuo braccio“, in der die innere Zerrissenheit zwischen Gehorsam gegenüber Gott und der Liebe zum Sohn in den virtuosen Verzierungen schmerzhaft zum Ausdruck kam.

Was in einem bescheidenen treuen Diener/Hirten/Gefährten alles stecken kann, zeigte Carlo Lepore als Gamari mit seiner großen Bass-Stimme, in der profunde Tiefe und schlanke Wendigkeit eine mitreißende Durchschlagskraft entwickelten.

Als Engel, der zuerst den Opferbefehl und dann dessen Widerruf bringt, ist Nuria Rial herabgestiegen vom Himmel auf die Bühne, mit klarer, vollkommen natürlich über alle Lagen fließender Stimme.

Diego Fasolis und „I Barocchisti“ haben allen Emotionen einen farbenreichen Klanggrund gelegt - energiegeladen und vorwärts drängend, aber nie überhastet, sondern immer auf einen Atem mit den Sängern. Die Funken flogen und stoben nur so – ganz ohne Feuerzungen von oben.

Bilder: SF/Marco Borggreve/Ribaltaluce Studio/Merce Rial