Emotionale Kapitulation vor der Unausweichlichkeit

PFINGSTFESTSPIELE / DANIEL BARENBOIM

21/05/13 Pfingstwunder im Festspielhaus: Das Festspielsprachengewirr, die nationalen wie politischen Grenzen lösen sich mit Brahms in eine Sprache auf, die alle verstehen: die Sprache der Musik. Teilt sich auch Emotion allen mit?

Von Christiane Keckeis

058Unter der Überschrift „Versöhnungsopfer“  musizierten der Wiener Singverein und das West Eastern Divan Orchestra miteinander unter der Leitung Daniel Barenboims „Ein deutsches Requiem“. Sehr verhaltene Seligkeit zu Beginn: „Selig sind, die da Leid tragen“. Selbst das Leid ist wenig spürbar, wie emotional dissoziativ abgeschnitten, so hat auch der versprochene Trost nur eine matte Farbe.  Barenboim hält den Beginn weit über das von Brahms Geforderte hinaus im Pianissimo, hält die Phrasen in einer unwirklichen Ebenheit, die fast in Bewegungslosigkeit versinkt. Die Lähmung hält über lange Strecken an, da ist wenig von der musikalischen Illustration des Textes, von der gefühlgetragenen Dynamik, die mit Brahms verbunden wird. Auch im zweiten Satz „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“ , dem  Statement der Vergänglichkeit, bleibt Barenboim weit weg von dynamischer Dramatik und Expression, es ist durchweg eine passiv aggressive Bedrohung, unausgesprochen, regungslos depressiv, der Chor hält die Artikulation eher weich, der Dirigent steht nahezu bewegungslos am Pult, eine emotionale Kapitulation vor der Unausweichlichkeit. „Aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit“ löst dann endlich den Bann, Aktivität kommt auf, Präsenz, die besungene „Freude“, aber auch der Schmerz werden vorsichtig greifbar.

Vor dem dritten Satz brandet im Publikum kurzer Applaus auf: die Solisten treten auf, Cecilia Bartoli und Renè Pape.  Pape gestaltet die unangenehm hoch liegende Bariton-Partie mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mittel, Bartoli berührt zutiefst  mit innigem „Ihr habt nun Traurigkeit“ – spätestens jetzt ist die Abspaltung des Gefühls in dieser Requiemdeutung beendet. So überwältigend wie erhofft gerät der große Chorauftritt „Denn wir haben hier keine bleibende Statt“,  die Steigerung bis zum jüngsten Gericht ist unausweichlich und gänsehautbehaftet. Leider nur bis zur Fuge, „Herr, Du bist würdig“, die Barenboim ohne Drive, eher eckig praktizieren lässt.

Die wahre Seligkeit bringt schließlich der Schluss: „Selig sind die Toten“, hier darf der Chor im Ton schwelgen, wunderbar organische Weitergaben zwischen den Stimmen erfreuen ebenso wie der gut abgemischte Chorklang.

Die Balance zwischen Orchester und Chor ist im Ganzen leider oft unausgewogen, immer wieder gibt es Stellen, wo Barenboim im Orchester einen Kommentar, eine Deutung zeigen will und darüber den Chor in die zweite Reihe stellt. Der Wiener Singverein, von Johannes Prinz gut vorbereitet, überzeugt wie gewohnt mit all seinen Chorqualitäten, tut sich manchmal im Kontext der Barenboimschen Tempi und Deutung  schwer mit der genauen Artikulation („getröstet“ ist ein gefährliches Wort), bewältigt aber das kraftaufwändige Werk mit Präsenz, Energie und soweit zugelassen mit dynamischer Vielfalt.

Das West Eastern Divan Orchestra musiziert engagiert und mit sichtbarer Spielfreude, auch hier allerdings  wäre – Brahms und Romantik  hin oder her – gelegentlich etwas konturenstärkere Artikulation und Transparenz hilfreich gewesen, insbesondere bei den Fugen, die gefährdet sind, ansonsten in einem matschigen Brei zu versinken.

Das Pfingstwunder nimmt jedenfalls ungebremst seinen Lauf, am Ende steht uneingeschränkter Jubel mit standing ovation: Versöhnung gelungen.

Bild: Salzburger Festspiele / Max Lautenschläger