Apartheid im Palast der Männer-Seilschaften

PFINGSTFESTSPIELE / OTELLO

10/06/14 Viele Sessel stehen herum, andere sind auf dem Billardtisch gestapelt. Aber der Kühlschrank scheint schon in Betrieb zu sein, das Bier ist schon kalt. Desdemona alias Cecilia Bartoli greift sich eine Flasche und schleudert ihrem Vater Elmiro, der sie ob ihrer Mésaliance mit Otello verflucht hat, selbstbewusst ihre Rabiat-Koloraturen entgegen.

Von Reinhard Kriechbaum

Zum ersten Mal haben heuer die Salzburger Pfingstfestspiele mit zwei szenischen Produktionen aufgewartet. Neben den zwei Aufführungen der „Cenerentola“ (die im Sommer wiederaufgenommen wird), gab es am Nachmittag des Pfingstmontag (9.6.) eine einmalige Vorstellung von „Otello“, einer Produktion, die für Zürich und das Pariser Théatre des Champs-Élysées entstanden ist. Eine Inszenierung des Teams Moshe Leiser und Patrice Caurier, denen die Pfingstfestspiele in den ersten beiden Jahren der Bartoli als Leiterin zwei höchst bemerkenswerte Inszenierungen zu verdanken hatten. Aber nichts diesmal von der Phantasie-Orgie, die sie 2012 für Händels „Giulio Cesare“ aufgebracht hatten und auch wenig von der politischen Kampf-Aura, in die sie 2013 Bellinis „Norma“ stellten.

In „Otello“ ist vom Originalschauplatz nur noch ein Glaslüster übrig (und das nur im ersten Akt). Irgendwo im Heute, in einem Staat, der bestimmt ist von Männer-Seilschaften, siedeln Leiser und Caurier die Geschichte an. Man ist offen rassistisch: Rodrigo lässt sich von einem Schwarzen am Buffet nicht mal einen Drink reichen, und im Festsaal dürfen nur die weißen Bedienten servieren. In diesem Ambiente klappt die Verschwörung, das Eifersüchtig-Machen des Mohren Otello, mit Leichtigkeit.

Die Regie zieht sich alsbald auf nobles Nacherzählen der Geschichte zurück. Desdemona also zwischen Otello und Rodrigo, der sie einmal allein zur Rede stellt – und da sieht man, dass sie diesen welt- und intrigenfremden Liebhaber vielleicht eh mögen täte, wenn da nicht der Ur-Mann Otello wäre. Vor allem aber auch eine Desdemona, die sich gegen den Vater behaupten will und muss. Der Alte könnte gleich zusammenpacken mit seinen Verheiratungs-Plänen.

Nicht sonderlicher Regieehrgeiz also, dafür ein Rossini-Singen, das diesen im Vokalen nun wirklich rundum prächtigen Pfingstfestspielen wohl anstand. Dass man der Aufführung am Montag ihr Gastspiel-Wesen, sprich: die nicht wirklich ausgeprobte Balance im Detail angemerkt hat, sei pauschal angemerkt. Drei Tenöre braucht es für diese (wahrscheinlich deshalb selten gegebene) Oper aus der Entstehungszeit des „Barbier“. John Osborn in der Titelrolle hatte eingangs erheblich zu drücken und pressen an den hohen Tönen, aber in Folge bildete er mit dem leuchtkräftigen Edgardo Rocha als Rodrigo und dem kernig-attackierenden Berry Banks als Iago ein formidabel eingestimmtes Kontrahenten-Team. Peter Kálmán war der Elmiro, Liliana Nikiteanu eine mehr als achtbare Emilia, die in jeder Phrase mit der Bartoli gleichzuziehen verstand: quasi das optimistische Alter-Ego der immer von Ahnungen und Schwermut Verfolgten.

Gibt es derzeit eine Rossini-Rolle, die Cecilia Bartoli nicht so sänge, als ob sie maßgeschneidert wäre? Der selbstbewusste Koloraturentanz auf dem Billardtisch ist ein einprägsamer Moment, aber noch nachdrücklicher waren diesmal die lyrischen Episoden im dritten Akt. Das Gebet hat bei Rossini noch nicht diesen Stellenwert, dafür ist eine lange langsame, verinnerlichte Arie gleichsam vorgeschaltet. Netter Regieeinfall: Die Bartoli im Zwiegespräch quasi mit einem alten Grammophon, das sie aus besseren Tagen herübergerettet hat und unter ihrem Bett verborgen hält – in einem unmöblierten, schäbigen Raum. Sie wird als kostbares Polit-Hochzeitsgut offenbar wie eine Gefangene gehalten in dieser Männer-Gesellschaft.

Wieder dirigierte Jean-Christophe Spinosi, wieder spielte das Ensemble Mattheus: Originaltöner, eine Gruppe in Kammerorchesterbesetzung. Sie hatten keinen ganz leichten Stand im Großen Festspielhaus, zudem Spinosi schon in der Ouvertüre sehr auf Generalpausen setzte. Es spricht dann wohl sehr viel für eine Einstudierung wirklich vor Ort.

Bilder: Salzburger Festspiele / Silvia Lelli
Zur DrehPunktKultur-Besprechung der Aufführung in Zürich
Die Bartoli in Maria Malibrans Fußstapfen