Eine monumentale Kostbarkeit

PFINGSTFESTSPIELE / EIN SOMMERNACHTSTRAUM / JOHN NEUMEIER

25/05/15 Die Adeligen tanzen zur Sommernachtstraum-Musik von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Die Handwerker trampeln zum Radau der Kirchtagsorgel. Die Elfen geistern zu Klängen von György Ligeti durch den Athener Wald: Das Hamburger Ballett gastierte mit John Neumeiers Sommernachtstraum-Ballett im Großen Festspielhaus.

Von Heidemarie Klabacher

Der Jubel nach mehr als drei Stunden Verzauberung war laut und grenzenlos. Über den Solistinnen und Solisten und dem Ensemble des Hamburg Balletts – besonders über dem wundersamen Alexandr Trusch als Puck – entlud sich ein Sturm an Begeisterung. Der Dirigent Simon Hewett und das Mozarteumorchester Salzburg bekamen für ihre opulent klangvolle und zugleich in vielen solistischen Details im Bläsersatz überaus fein artikulierte Sommernachtstraum-Musik den ihnen gebührenden Extrajubel. Und als John Neumeier die Festspielhaus-Bühne betrat, steigerte sich der Sturm zum Orkan.

Die von Miespetern immer wieder gern gestellte Frage, ob John Neumeiers Hang zur Monumentalität im Ballett – ist das nicht die „leichteste“, die „duftigste“ aller Künste – den im cinemascope-Format vertanzten Stoffen gut tut, stellt sich auch im Zusammenhang mit dem 1977 entstandenen und seither in mehreren Überarbeitungsstufen immer wieder neu uraufgeführten „Sommernachtstraum“.

Über das Befremden an dem kleinkariert neu- bzw. biedmeierlich getrippelten „Prolog“, der von der Aufregung am Athener Herzogshof am Abend vor der Hochzeit von Theseus und Hippolyta erzählt, muss man auch anno 2015 erst hinwegkommen. Aber man weiß ja, dass es noch anders kommen wird.

Hippolyta, getanzt von der grandiosen Helene Bouchet, ist gar nicht so sicher, dass die Hochzeit mit Theseus, getanzt von Carsten Jung, eine so gute Idee ist. Sie sinkt elegant in einen unruhigen Schlaf, der alsbald von verstörenden Klängen und geheinmisvollen Gestalten heimgesucht wird... Die Hauptrollen sind äußerst anspruchsvolle Doppelrollen: Helene Bouchet und Carsten Jung tanzen als Titania und Oberon auch das Fürstenpaar im Elfenreich. 

Die Menschenfürstin entschlummert also. Das ist der Moment, in dem die (live gespielte) Sommernachtstraum-Musik von Felix Mendelssohn-Bartholdy übergeht in die (zugespielten) Klänge von György Ligetis „Volumina“ für Orgel. Und dazu tanzen die Elfen tanzen ihre geheimnisvollen Reigen. Weitere Werke von Ligeti, darunter die Etüde Nr. 1 für Orgel oder Continuum für Cembalo, werden verwendet. Wenn die Athener Handwerker auftreten, kommt dazu noch Drehorgelmusik von den „Musikautomaten unserer Großeltern“.

Das raffinierte Hinter-, In- und nebeneinander der Musikstile sorgt durch Brechung und Verfremdung immer wieder für die dringend nötige Distanz von der überklassischen Spitzentanz-Betulichkeit. Die Ängste der beiden im Wald und in den eigenen Gefühlen verirrten jungen Paare bekommen dadurch eine gewisse Allgemeingültigkeit.

Im zweiten Akt, nach dem Erwachen der künftigen Herzogin von Athen, gibt es  keinen leider Ligeti und damit kein Halten mehr bezüglich der Opulenz. Zum Glück gibt es noch den Rüpeltanz der Handwerker zur Drehorgelmusik. Die verquere Choreographie des Rüpeltanzes und die Brillanz der Tänzer entschädigt für einiges höfisches Getue.

Angesichts der Farbenpracht auf der Bühne wird die vom Mozarteumorchester so überaus fein gestaltete Mendelssohn’sche Musik beinah zur reinen „Filmmusik“, reduziert auf eine Art Untermalungsfunktion. Dabei ist in der „Bühnenmusik zu Ein Sommernachtstraum“ op. 61 schon alles enthalten...

Man teilt nach einer gefühlten Ewigkeit vorbehaltslos und gerne die Begeisterung über die tänzerisch-technischen Leistungen des Hamburg Balletts. Kriegt aber den Gedanken nicht ganz los, wie es wohl wäre, wenn jemand ein unendlich kostbares kaiserliches Fabergé-Ei aufblasen würde auf die Größe einer Zirkuszeltkuppel…

Bilder: Hamburg Ballett/Holger Badekow (3); SF/Wolfgang Lienbacher (1)