Die göttlichen Leiern

PFINGSTFESTSPIELE / LA LIRA D‘ORFEO

26/05/15 Der Rhythmus des Südens kommt aus dem Wind, aus dem Wellenspiel, aus dem Atem. Ganz natürlich formt er Passacaglien, Chaconas, Tarantellas – und die Zukunft des Flamenco oder des Bolero liegt in der Luft.

Von Gottfried Franz Kasparek

„Götterklang“ herrschte in der Matinee am Pfingstmontag im Großen Saal des Mozarteums. Das Ensemble rund um den norwegischen Lautenisten Rolf Lislevand zeigte vor, welch eine lebendige, tänzerische und mitreißende Angelegenheit Musik der italienischen und spanischen Renaissance und des frühen Barock sein kann.

Fünf der sechs Herren, mit Ausnahme des Perkussionisten, hatten zwar Noten auf den Pulten, aber sie spielten diese nicht trocken herunter, sondern verwendeten sie als Inspiration für muntere Improvisationen, aus dem Augenblick entstehende Weiter-Kompositionen, verbanden immer mehrere Stücke zu Suiten und ließen der Klangphantasie und der harmonischen Kreativität freien Lauf. So muss es damals auch gewesen sein. Die Lust am Improvisieren wurde der „ernsten“ Musik ja erst um 1800 ausgetrieben.

Die Noten des Ensembles stammen von Gaspar Sanz und Hieronymus Kapsberger, von Girolamo Frescobaldi, Alessandro Piccinini und Santiago de Murcia und anderen Meistern. Alle haben Musik zur freien Verfügung und auch zur flexiblen Besetzung geschrieben. Die göttliche Leier des Orpheus, „La Lira d’Orfeo“, war die Wurzel all der wundersamen Lauten, Theorben und Barockgitarren, die das Podium bevölkerten. Auch ein Colascione war dabei, die tiefe Laute der Commedia dell’arte, eine Chitarra battente – man staune: schon damals mit Stahlsaiten bespannt und fast rockig klingend! – und ein meist gezupfter Violone. Als „Mega-Leier“ bezeichnete Lislevand, der kundig durchs Programm geleitete, sein Ensemble, ergänzt durch den ganz spontan reagierenden Madrilenen David Mayoral mit allerlei Trommeln und Glöckchen.

Man muss sie alle nennen: Lislevands Landsleute Thor Harald Johnson und Ulrik Gaston Larsen, wie einst Kapsberger und nun Lislevand offenbar in den Süden gewandert. Der Italiener Marco Ambrosini spielt mit Witz und Laune die Nyckelharpa, ein ursprünglich schwedisches, liegend gestrichenes Instrument, welches „Gambe, Violine, Harfe und Schreibmaschine“ mischt, so Lislevand dazu. Mit bierernster Originalklangpflege haben

diese fabelhaften Musikanten nichts am Hut. Mit gemessenem Ernst allerdings bedient der Schweizer Dominique Girod seinen mächtigen Violone-Bass. Dies ist ein wahrhaft europäisches Ensemble.

Man konnte gar nicht genug bekommen vom Klang der Leiern, oft feinnervig verspielt, tastend intim, dann wieder zu tänzerischen Explosionen führend, voll kleiner Apercus und liebevoll gesetzter Nuancen. Ein reines Vergnügen – auch weil das Ensemble sich mit einer vorbildlich dezenten, den Klang nie domestizierenden oder verfremdenden, nie um die Ohren knallenden Edel-Verstärkung begnügt. Zwei Improvisationen mussten als Zugaben noch sein – und man will die sechs Herren bald wieder hören und sehen!

Bild: Salzburger Festspiele / Wolfgang Lienbacher