Eintritt ins Schloss

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04/05/10 Das waren noch Zeiten, als Hans Werner Henze die Geschicke der Münchener Biennale für neues Musiktheater lenkte. Puristen mit Hang zu abstrakten, möglichst komplexen Werken kamen nicht wirklich auf ihre Kosten, Henzes Liebe zum Genre Literaturoper und seine prinzipielle Offenheit gegenüber unterschiedlichsten Strömungen sorgte für ein ungemein vielschichtiges Programm.

Von Jörn Florian Fuchs

Unter Peter Ruzicka verwandelte sich das Festival zur Speerspitze der Avantgarde, jetzt ging es wieder um vermeintlich abgenutzte Begriffe wie Materialfortschritt und ums wirklich Neue an der Neuen Musik. Später dann rief Ruzicka das Konzept der Zweiten (Opern)Moderne aus, gemeint sind damit Stücke, die sich zwar postmoderner Mittel bedienen, die zugleich aber wieder zu neuen narrativen Gehalten führen. Einfach gesagt: alle Stile sind erlaubt – so lang die Partitur ein gewisses strukturelles Niveau nicht unterschreitet – aber am Ende soll dann doch so etwas wie eine Geschichte stehen.

Die ersten beiden Biennale-Premieren fallen in die Kategorie der Zweiten Moderne, und sie führen zugleich in ihr Kernproblem: die Unvereinbarkeit von verschachtelter Dramaturgie (auf mehreren Ebenen) und musiktheatraler Tauglichkeit.

Der 1977 geborene Aachener Philipp Maintz hat mit „Maldoror“ eine anspruchsvolle, klangschöne und zugleich tiefenentspannte Musik geschrieben, die auf dem Notenpapier ziemlich schwierig aussieht, beim ersten Hören jedoch fast zu eingängig wirkt. Cluster mischen sich mit zuckenden, zischenden Akkordverwicklungen, ein virtuos gehaltener Klavierpart und das illustrierende Marimbaphon liefern dazu beinahe impressionistisches. Die Gesangslinien sind äußerst delikat gehalten, es gibt ein dichtes Netz wiederkehrender Motive. Maintz beherrscht sein Handwerk sicher, ohne jedoch einen Personalstil zu entwickeln. Nach der Bühne schreit seine Musik allerdings nicht, auch nicht nach einer inhaltlichen ‚Anreicherung’ durch Lautréamonts wild-wüste Gesänge von Maldoror, diese radikal pathetische Beschwörung des absolut Bösen führt bei Maintz zur hübschen klanglichen Bebilderung. Nur als ein kleines Kind sinnlos stirbt, bietet die Musik eine adäquate Ebene. Ohnehin ist man ohne die Kenntnis des Librettos verloren, obwohl oder gerade weil Georges Delnon den gesamten, neunzigminütigen Abend lang die französischen Texte über eine bewegliche Leinwand und ein biegsames Gerüst aus Lamellen flimmern lässt – das wirkt wie Jenny Holzer für Arme! Der Rest ist Stehtheater in eigenwilligen S/M-Kostümen, den Begriff "Inszenierung" sollte man bei dieser zähen, die Augen empfindlich schmerzenden Regiekapitulation besser nicht verwenden. Sehr solide waren die Leistungen der Musiker und Sänger, vor allem Marisol Montalvo, Leila Pfister und Otto Katzameier überzeugten, ebenso Marcus Bosch am Pult des Sinfonieorchesters Aachen.

Auch die zweite Biennale-Uraufführung war musikalisch auf hohem Niveau. Der 1975 in Budapest geborene Márton Illés hat in seiner ersten Oper „Die weiße Fürstin“ einen kaum bekannten Text von Rilke vertont. Illés trat bisher vor allem als Komponist feinsinniger Kammermusik in Erscheinung und im Grunde handelt es sich auch bei der „Weißen Fürstin“ um ein Konglomerat kleiner, kleinteiliger Stücke. Rilke erzählt in recht klaren Sprachbildern von einer unglücklich verheirateten Frau, die auf ihren Geliebten wartet und ihm ein Zeichen zum Eintreten ins Schloss geben will. Dieses Zeichen würde indes auch einige Mönche anlocken, die sich um die Opfer der grassierenden Pest kümmern… Illés’ Musik changiert zwischen energetisch stark aufgeladenen Klängen und nachgerade lockeren Einsprengseln, die ein wenig so wirken, als hätte sich Richard Strauss doch noch einigen Neuerungen seiner Zeit gewidmet. Überzeugend ist besonders die Ausgestaltung von Übergängen, das knappe Beleuchten und rasche Schattieren der kurzen Einzelszenen.

Auf der musiktheatralen Ebene assoziiert Regisseurin Andrea Moses dazu einen poetischen Erzählraum, ein weiß gekleidetes, dekadentes Partyvölkchen amüsiert sich, stürzt sich in Wasserbassins, erschreckt sich ob des sich die Haut vom Leib reißenden (Pest)Boten. Diese freie, zugleich sinnlich-präzise Lesart tut dem einstündigen Abend gut, zumal Illés Rilkes Figuren ohnehin atomisiert, in Einzelteile zerlegt respektive auf einzelne Stimmen verteilt. So entsteht aus einer prinzipiell bühnenuntauglichen Partitur ein eindrückliches, lange nachwirkendes Musiktheater, das von Georg Fritsch am Pult des Philharmonischen Orchesters Kiel sowie allen Protagonisten vorbildlich umgesetzt wurde.

www.muenchener-biennale.de