Sprung ins kühle Nass

REST DER WELT / LUZERN / TRISTAN UND ISOLDE

14/09/10 Esa-Pekka Salonen setzt in Luzern einen Markstein mit seiner Deutung von „Tristan und Isolde“.

Von Oliver Schneider

Wenn „Eros“ als Festspielmotto gewählt wird, ist Wagners Liebesdrama „Tristan und Isolde“ geradezu ein Muss. Sei es auch (noch) mangels geeigneten Raums nur in halbszenischer Form. Geboten wurden beim Lucerne Festival im Grunde gleich zwei Deutungen: eine auf sparsame Gesten beschränkte oratorienhafte „Inszenierung“ der äußeren Handlung von Peter Sellars und eine Video-Visualisierung der inneren Handlung von Bill Viola.

Sellars’ nach ähnlichem Muster abgelaufene Ritualisierung von Bachs „Matthäus-Passion“ bei den letzten Salzburger Osterfestspielen mag insgesamt stringenter und ergreifender gewesen sein. In Luzern stehen die Protagonisten häufig starr auf dem Podium vor dem Orchester. Nur in wenigen Momenten, wenn Tristan sich in Melots Schwert wirft oder Kurwenal den Verräter ersticht, lässt Sellars ihnen Raum zum Spiel.

Was die Produktion, die nach Dortmund, Birmingham und London weiterzieht, speziell macht, ist der Einbezug des gesamten Raums. Wenn die Stimme des jungen Seemanns im ersten Aufzug vom obersten, vierten Balkon aus der Ferne erklingt, Tristan und Isolde im zweiten aus dem Zuschauerraum von rechts und links auf die Bühne schreiten, um sich auf einer schwarzen Bank nebeneinander sitzend bei ihrem „O sink hernieder, Nacht der Liebe“ platonisch zu vereinigen, gelingen Sellars eindrückliche Momente. Ebenso, wenn von unterschiedlichen Galerien und Balkonen Brangäne ihren Warnruf erklingen lässt, Kurwenal und der Hirt singen oder die Hörner am Anfang des zweiten Aufzugs erschallen.

Mehr Rätsel als Erhellung der inneren Handlung gibt zum Teil die Bebilderung auf, für die man auf das für eine Tristan-Inszenierung 2004 und 2005 in Los Angeles und Paris produzierte Video von Bill Viola zurückgegriffen hat. Brandendes Meer, einsame Landschaften, Sonnenauf- und untergänge, Funken sprühendes Feuer bilden zumindest stimmige Hintergrundbilder. Wenig Aussagekräftiges trägt hingegen das Videodouble Tristan und Isolde im ersten Aufzug bei, das sich komplett entkleidet einer Art Wassertaufe unterzieht. Schön abgestimmt hingegen ist nach dem verhängnisvollen Liebestrank der Sprung des Paars ins Wasser. Die folgenden Unterwasseraufnahmen sind nur überflüssig dekorativ.

Das wirkliche Ereignis dieser Produktion spielt sich ohnehin auf musikalischer Ebene ab. Das Philharmonia Orchestra und sein Chefdirigent Esa-Pekka Salonen verleihen ihr die Festspielwürdigkeit. Schon im Vorspiel lässt Salonen spüren, worauf es ihm ankommt: Mit Ruhe und Detailliebe modellierend peilt er den ersten Höhepunkt an. Dadurch entsteht eine ungemeine Transparenz, zu der sicherlich auch die Akustik des Saals ihren Beitrag leistet. Flüssiger geht es nach dem Vorspiel weiter, indem Salonen den unaufhörlichen Klangstrom kanalisiert fließen lässt und exakt zwischen Ruhepolen und ekstatischen Höhepunkten hindurch steuert. Das Geschehen im Raum hat er dabei jederzeit unter Kontrolle, im dritten Aufzug vielleicht nicht mehr ganz die Lautstärke, aber das ist ein Detail.

Gutes bis Durchschnittliches bieten die Protagonisten. Violeta Urmana als Isolde gefällt mit ihren Schattierungsmöglichkeiten und ihrer Diktion, neigt aber leider dazu, die Stimme in der Höhe zu kraftvoll zu führen. Anne Sofie von Otter gibt eine überzeugende Brangäne. Gary Lehmann teilt sich den kräftezehrenden Tristan mit seinem baritonal fundierten Heldentenor gut ein, so dass er auch den Fiebertraum ohne Mühen durchsteht. Ein Mangel ist hingegen seine Diktion, was auch über weitere Strecken für Jukka Rasilainens heldisch auftrumpfenden Kurwenal und Matthew Bests abgeklärten Marke gilt. Hätte es wenigstens Übertitel gegeben.

Das Lucerne Festival dauert noch bis 18. September - www.lucernefestival.ch
Weitere Aufführungen von "Tristan und Isolde": 17. September Konzerthaus Dortmund, www.konzerthaus-dortmund.de; 23. September Birmingham und 26. September London.
Bilder: Lucerne Festival / Bill Viola Studio