Dichter oder Liebhaber

REST DER WELT / MÜNCHEN / LES CONTES D’HOFFMANN

11/11/11 Für den Dichter Hoffmann und die vier Frauenrollen wartet die Bayerische Staatsoper mit einer Starbesetzung auf, die restlos ausverkaufte Vorstellungen garantiert: Rolando Villazón und Diana Damrau, die erstmals in die Rolle von Hoffmanns realer Liebe, die Opernsängerin Stella, und die drei Projektionen schlüpft.

Von Oliver Schneider

Wenn sich ein Opernhaus an Jacques Offenbachs letzte, unvollendete Oper wagt, stellt sich zunächst immer die Frage der aufzuführenden Fassung. Guiraud, Choudens, Oeser, Kaye / Keck? An der Bayerischen Staatsoper in München standen für Dirigent Constantinos Carydis, der kürzlich zum ersten Träger des Carlos-Kleiber-Preises gekürt wurde, weniger philologische als aufführungspraktische Gesichtspunkte beim Erstellen der Spielfassung im Vordergrund, wobei die Grundlagevor allem die zuletzt erarbeitete Kaye-Fassung mit dem von Keck entdeckten Finale des Giulietta-Akts bildet.

Hört man das Ergebnis, sind Carydis und das Regieteam den richtigen Weg gegangen, denn es entsteht ein stimmiger Gesamteindruck ohne Fragezeichen und Brüche. Das Bayerische Staatsorchester überzeugt mit sattem Streicherklang und harmonischem Glanz in den Bläsergruppen. In Carydis disziplinierendem Dirigat überborden weder Offenbachs musikalische Persiflagen und diabolischen Abgründe noch die lyrischen Momente, der Orchesterpart ist jederzeit abgerundet. Er bildet damit einen samtigen Teppich für die Solisten, die von Carydis im positiven Sinne des Worts kapellmeisterlich auf Händen getragen werden.

Die Damrau überzeugt naturgemäss zunächst einmal als Olympia mit automatenhafter stimmlicher Brillanz. Ebenso liegt ihr die Künstlerin Antonia, für die sie ihren fülliger gewordenen Sopran frei strömen lässt. Am wenigsten überzeugt (noch) ihre Giulietta, zumal auch ihr Spiel als Kurtisane zu brav ist.

Rolando Villazón hat den Hoffmann bereits vor seiner Krankheit an diversen Häusern gesungen, vom Charakter her ist es für ihn eine Idealpartie, die er auch jetzt wieder mit Verve ausfüllt. Auch die stimmliche Verfassung, in der sich Villazón befindet, passt zum Dichter Hoffmann, dessen zwei Seelen in ihm um die Oberhand ringen. Anders als zuletzt seine Auftritte in Mozart-Opern fordert die Partie von ihm allerdings mehr Kraft (um die er in der besuchten dritten Vorstellung hörbar gerungen hat).

Die Amerikanerin Angela Brower, seit zwei Jahren Ensemblemitglied der Staatsoper, verblüfft in der Doppelrolle Niklausse/Muse mit fesselnder Bühnenpräsenz, ein stiller Star im Bunde. Mit ihrer gut fokussierter Stimme setzt sie neben der Damrau ein weiteres vokales Glanzlicht.

John Relyea stattet die vier Bösewichter mit seiner resonanzkräftigen, aber zu wenig schwarzen Stimme aus, verleiht ihnen im Gegenzug aber die nötige Spur groteske Überzeichnung. Kevin Conners beweist sich schließlich als Cochenille, Pitichinaccio und Frantz als grossartiger Charakterdarsteller, der auch mit einer makellosen Stimme punkten kann, was in seinem Stimmfach nicht immer der Fall ist. Die von Sören Eckhoff einstudierten Chöre brauchten am Mittwochabend etwas Zeit, um die gewohnte Form zu erreichen, vor allem die Herren.

Für die Regie hatte Staatsintendant Nikolaus Bachler den Briten Richard Jones eingeladen, dem es augenscheinlich nicht um den grossen intellektuellen Tiefgangging. Die Legende, dass der Dichter E. T. A. Hoffmann Alkoholiker gewesen sei, nimmt Jones bereitwillig auf, indem er Niklausse respektive die Muse im ersten Akt aus Hoffmanns prallvollem Schnapsschrank in seiner Mansarde entsteigen lässt. Er versorgt den Dichter, der auf Stella nach ihrem Auftritt als Donna Anna in Mozarts „Don Giovanni wartet, regelmäßig mit dem nötigen Alkohol, damit er den Weg zur Kunst zurückfindet.  Jones zeichnet die beiden Freunde als die zwei Seelen in der Person Hoffmanns: Niklausse ist der Künstler in ihm, während Hoffmann selbst die Seite desnach Liebe Suchenden übernimmt.

Die perspektivisch geschickt gestaltete Mansarde (Bühne: Giles Cadle) verwandelt sich im Laufe des Abends in Luthers Keller, wird zu Spalanzanis Barbie-Kinderzimmer für seinen Automaten Olympia, zum gediegenen Schlafzimmer Antonias und schließlich zu Giuliettas verführerischem Reich, in dem sie auf Druck ihres Zuhälters Dapertutto von ihren Liebhabern das Spiegelbild als Preis für ihre Dienste verlangt. Durch Zwischenvorhänge, auf denen der Name der im folgenden Akt im Mittelpunkt stehenden Dame, steht, betont das Regieteam, dass die drei Traumakte in sich abgeschlossene „Opern“bilden.

Manches mag an der Grenze zum Plakativen liegen, wie der comicartige Olympia-Akt, in dem Spalanzani und Cochenille zum clownesken Zauberelternpaar werden. Doch sind nicht auch Traumbilder oft verzerrt?Jones‘ Inszenierung eignet sich auf jeden Fall ideal für wechselnde Besetzungen, überfordert den Zuschauer nichtund dürfte sich deshalb wohl längere Zeit im Repertoire im Nationaltheater halten lassen.

Weitere Vorstellungen am 12., 17., 21. und 25. November sowie im Rahmen der Münchner Opernfestspiele im Juli 2012. - www.staatsoper.de