Das Ewig-Weibliche personifiziert

REST DER WELT / MÜNCHEN / DIE SACHE MAKROPULOS

22/10/14 Ganze 337 Jahre ist sie jung, die gefeierte Operndiva Emilia Marty. Äußerlich würde man es der von Nadja Michael verkörperten Blondine, die gewollt oder ungewollt an lebende und verstorbene Schauspieldiven erinnert, im eng geschnittenen, schwarzen Hosenanzug nicht geben, doch in ihr sieht es anders aus.

Von Oliver Schneider

Sie ist seelisch erschöpft, überdrüssig der Verehrer, die nur Sex und Materielles von ihr wollen, und speist auch diejenigen, die sich wirklich in sie verlieben, nur noch mit zynischen Worten und Gesten ab. Ein von ihrem Vater für den Habsburgerkaiser Rudolf II hergestelltes Zaubermittel verlängerte ihr Leben um 300 Jahre. Als Elina Makropulos geboren, schlüpfte sie im Laufe ihres Lebens in viele Rollen, deren Nameninitialen immer E. M. lauteten. Nun ist sie auf der Suche nach dem Rezept für das Lebenselixier, was im Libretto nach der gleichnamigen Komödie von Karel Capek erzählt wird. Da streiten sich Nachkommen ihrer Verflossenen um ein Testament, verlieben sich wiederum in Emilia, was schlussendlich dazu führt, dass Elina Makropulos ihre Lebensgeschichte erzählt.

Tomáš Hanus hat mit dem Bärenreiter-Verlag die erste kritische Werkausgabe von Janáceks vorletzter Oper erarbeitet, die im Münchner Nationaltheater am Sonntagabend (19.10.) ihre Premiere erlebte. Regie führte Árpád Schilling.

In einem weißen Raum (seelische Kälte!) steht im ersten Akt ein hoher Zylinder mit dunklen Marmorwänden, in dessen Mitte Bürostühle jeder Art bis zum oberen Ende des Bühnenportals aufgetürmt sind. Der Bühnenboden ist mit Papierschnipseln übersät. Beides Zeichen für den bereits seit hundert Jahren währenden Prozess, der zum Auslöser von Emilia Martys Outing wird. Hier in der Anwaltskanzlei von Dr. Kolenatý begegnet man erstmalig den beiden Prozessgegnern Jaroslav Prus (John Lundgren), Albert Gregor (Pavel Cernoch), dem Anwalt (Gustáv Belácek), der als einziger gegenüber Martys abenteuerlichem Schicksal bis zum Schluss mit Misstrauen begegnet und auch ihren weiblichen Reizen nicht erliegt, seinem umtriebigem Gehilfen Vítek (der bewährte Kevin Conners) und seiner Tochter und ebenfalls Sängerin Krista. Sie trägt die Fama der Diva Emily Marty in die Kanzlei, indem sie symbolhaft als Biene Maja vom Schnürboden herunter schwebt. Das wäre nicht nötig gewesen, denn Tara Erraught weiß sich stimmlich und darstellerisch auch ohne ein solches Regiemätzchen zu behaupten (Ausstattung: Márton Ágh).

Insgesamt erzählt Árpád Schilling die Geschehnisse allerdings handwerklich gut nach, das muss man ihm lassen. Die Kostüme deuten zum Teil die Entstehungszeit an, zum Teil sind sie heutiger, was die Zeitlosigkeit des Stoffs betont. Für den zweiten Akt wird die klassische Bühne auf der Bühne nachgebaut. Die Verengung in der Tiefe steht für die zunehmende Bedrängnis, in welche die Marty durch das Auftauchen von verflossenen Liebhabern, Erben, dem misstrauischen Anwalt und ihr eigenes Gewissen gerät.

Nur im letzten Akt erlaubt sich Schilling einen handfesten Eingriff: In Pelz gehüllt, trinkt sich die Marty Mut an, um sich ihrem Schicksal zu stellen. In großen lyrischen Melodielinien legt sie Rechenschaft über ihr Leben ab und verzichtet auf eine nochmalige Verlängerung. Schilling lässt dazu einen himmelbettartigen Sargkatafalk auffahren, in dem die gefesselte Elina von Psychiatriepflegern ausgepeitscht wird. Der Herrenchor lieferten einen atmosphärischen Klanghintergrund (Einstudierung: Sören Eckhoff) und streckt der sterbenden Diva die letzten Rosen entgegen. Ach ja, und weil es Schilling um die Inkarnation des Ewig-Weiblichen geht, dürfen die Pfleger ihre muskulösen Oberkörper beim Auspeitschen zeigen, und am Ende steht die neue Emilia Marty – Krista – auf dem Himmelbett-Sarg in Pelz gehüllt zwischen den Eisbergen, anstatt dass sie das Rezept des Lebenselixiers verbrennt. Schilling misstraut Janáceks Antwort auf die Frage der Vergänglichkeit – und findet keine bessere. Schade bei einer sonst gelungenen Produktion. Dem Publikum hat es trotzdem gefallen.

Uneingeschränktes Lob gebührt dem Dirigenten Tomáš Hanus und dem Bayerischen Staatsorchester. Sie loten die im Vergleich zu den früheren Janácek-Opern schwieriger zugängliche Musiksprache kammermusikalisch differenziert aus. Dadurch entsteht eine schöne Klangbalance zwischen den Instrumentegruppen. Jede noch so kleine Sprechmelodie wird sorgfältig herausgearbeitet, und wäre man der tschechischen Sprache mächtig, könnte man der Handlung mühelos ohne Übertitel folgen. Erwähnt sei noch das fanfarenartige Blech in der Ouvertüre nur aus dem Hintergrund, was umso strahlender im dritten Akt aus der rechten Proszeniumsloge erklingt.

Nadja Michael kommt der bis auf den Schlussmonolog deklamatorische Konversationston stimmlich zugute, auch wenn ihr dramatisch-ausuferndes Organ trotz aller Kontrolle zuweilen den sensiblen Zugang von Hanus konterkariert. Große Wirkung erzielt sie auch mit den mild-strömenden Phrasen im Schlussmonolog. Auf dem hohen Niveau der Michael hält auch der Rest des Ensembles mit. In der kleinen Partie des Hauk-Šendorf gibt es eine erfreuliche Wiederbegegnung mit Reiner Goldberg, der Elina vor 50 Jahren als Eugenia Montez begegnet ist. Nur in diesem kurzen Dialog zeigt die Marty, dass auch sie zu Liebe fähig war und ist.

Weitere Vorstellungen: 22., 26., 29.10 sowie 1.11 - www.staatsoper.de
Die Aufführung am 1.11 wird ab 18 Uhr als Livestream kostenlos auf www.staatsoper.de/tv übertragen