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Belcantofest im Bonner Kanzlerpavillon

REST DER WELT / ZÜRICH / IL VIAGGIO A REIMS

07/12/15 Christoph Marthaler und Anna Viebrock erzählen auf subtil-komische Art und mit gleichzeitig mahnendem Finger die Nichtigkeiten in Gioachino Rossinis „Il Viaggio a Reims“, indem sie Bilder aus der Bundesrepublik mit Aktuellem verschmelzen lassen.

Von Oliver Schneider

Das Dramma giocoso „Il Viaggio a Reims“ – uraufgeführt 1825 im Rahmen der Krönungsfeierlichkeiten von König Karl X von Frankreich – bedeutet für jedes Opernhaus eine Parforce-Leistung, gilt es doch 13 große und noch diverse kleinere Partien mit Rossini-Spezialisten zu besetzen. Und es bedarf eines Regisseurs, der für die läppische Rahmenhandlung eine zündende Idee entwickelt: Eine internationale Gesellschaft in einem Badehotel in Plombières muss die Idee der Reise zur Krönung von Karl X nach Reims begraben, weil es keine Pferde zum Weiterreisen gibt.

Marthaler und Viebrock lassen den Abend im Kanzlerpavillon der alten Bundesrepublik in Bonn spielen. Einem Ort, an dem Öffentliches und Privates aufgrund der räumlichen Enge nahtlos ineinander übergehen. Direkt hinter dem viel zu klein geratenen Swimmingpool befindet sich die Halle, in der Europas Staatsführer für die üblichen Gruppenbilder posieren oder wichtige Verträge unterschreiben, während nebenan Platz für Konferenzen und intimere Besprechungen ist.

Das Regiment führt im Haus die Empfangschefin Maddalena (kaum wiederzuerkennen Liliana Nikiteanu), bei der auch später die Regierungschefs ihre Unterschrift unter die Verträge – welche auch immer – setzen müssen. Warum es im Kanzlerhaus einen Doktor braucht (leicht verschattet Roberto Lorenzi), ist eine andere Frage. Die Hotelbesitzerin Madame Cortese wird zur Kanzlergattin (stimmlich und darstellerisch eine Persönlichkeit Serena Farnocchia). An ihren Rednerpulten debattieren die Europapolitiker über dies und das, während die Contessa di Folleville als grösstes Problem den Verlust ihres Gepäcks zu beklagen hat. Statt dass Marthaler allerdings sie in Ohnmacht fallen und verarzten lässt, führt er einen (stummen) Epileptiker ein, den man dann gleich an den Tropf hängt, während Julie Fuchs hinreißend agil und höhensicher ihrer Freude über ein gerettetes Hütchen freien Lauf lassen darf.

So wie Marthaler und Viebrock die Classe politique aufs Korn nehmen, rufen sie gleichzeitig auch die Väter Europas in Erinnerung und erheben den Mahnfinger gegen ihre (heutigen) Gegner, womit sie den Bogen über fast 50 Jahre legen. Porträts von Ludwig Erhard, aber auch zum Beispiel Viktor Orbán hängen oder stehen in den öffentlichen Räumen. Oder im Bunker, der sich auf Viebrocks Bühne surreal im ersten Stock (!) des Bungalows befindet. Dort wird spioniert, und dort zeigt Scott Conner als Don Profondo sein komödiantisches Feuer, indem er die Damen und Herren aus dem unteren Stock kongenial mit ihren landsmännisch-sprachlichen Eigenheiten imitiert. Bestochen wird dort oben auch, bezeichnenderweise vor einem Fussballpokal.

Eines der anspruchsvollsten Finale in einer Rossini-Oper ist das große Ensemble für 14 Stimmen, in dem sich in Zürich hören lässt, wie sorgfältig die Besetzung ausgewählt wurde. Hier – und den Rest des Abends – wird Rossinische Gesangsakrobatik pur geboten: Rosa Feola als brillante Corinna, Anna Gorychachova als Melibea, Edgardo Rocha als höhensicherer Belfiore, Javier Camarena als stimmlich beweglicher Conte di Libenskopf und Nahuel Di Pierro als köstlicher Lord Sidney seien noch erwähnt, auch wenn man eigentlich jeden Solisten in einer noch so kleinen Partie in dieser Produktion nennen müsste. Von Daniele Rustioni würde man sich allerdings im Graben mehr Brio, ein elektrisierenderes Dirigat wünschen. Das Orchester zeigt sich aber von seiner besten Seite, wobei vor allem die Holzbläser mit schönsten Soli punkten.

Der Drive lässt anschließend ein wenig nach. Das Fest zur Ehre des neuen Königs, an dem die Politiker Nationales aus ihrer Heimat zu Gehör bringen und man voll in der Gegenwart angekommen ist, wirkt zu Beginn flau, nachdem das Gruppenfoto gemacht ist und man am Konferenztisch weiter diskutiert. Klar, möchte jeder Teilnehmer noch rasch ein Selfie mit der attraktiven Melibea aus Polen. Inhalte interessieren weniger. Wenn es dann am Schluss um das Hochleben Frankreichs geht, fällt die Übertitelung aus: „vorübergehende Librettostörung“, denn die zerfetzte Trikolore liegt am Boden. Möge der künstlerische Mahnruf des Regieteams nicht im Leeren verhallen.

Weitere Vorstellungen bis 9. Jänner 2016 – www.opernhaus.ch
Bilder: Opernhaus Zürich / Monika Rittershaus

 

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