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„Hans, wir lieben Dich“

REST DER WELT / MÜNCHEN / MEISTERSINGER

18/05/16 David Bösch erzählt Wagners „Meistersinger“ im Nachkriegs-Kontext als Geschichte einer dahin serbelnden Zunft, deren Erneuerung durch den Heilsbringer Stolzing letztlich ausbleibt. Nürnberg ist eine Stadt, in der die bösen Geister der Vergangenheit immer noch - oder schon wieder - herumspuken.

Von Oliver Schneider

Lange standen sie nicht auf dem Spielplan der Bayerischen Staatsoper, Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“. Entsprechend begehrt waren die Karten, zumal die Besetzung viel versprach: Wolfgang Koch ist der Sachs, Jonas Kaufmann debütierte als Stolzing. Am Pult steht Münchens hochverehrter Generalmusikdirektor Kirill Petrenko. Wie schon bei seinem Ring in Bayreuth, stößt er mit dem Blick auf solistische Linien und Mittelstimmen oft verborgene Türen auf. Glücklich schätzen kann man sich, wenn man ihn im Graben beobachten darf, wie er das hervorragende Bayerische Staatsorchester mit Leidenschaft, präzise und tänzelnd in forschem Tempo durch das Vorspiel zum ersten Aufzug führt. Petrenko ist ebenso ein aufmerksamer Koordinator zwischen Graben und Bühne. Er nahm das Orchester bei der Premiere blitzschnell zurück, als Koch in den ersten beiden Aufzügen, vielleicht premierebedingt, schwächelte. Besser gelangen der Wahnmonolog und die Schlussansprache.

Auch Kaufmann schien sich am Pfingstmontag zu Beginn nicht ganz wohl zu fühlen. Er wirkte im ersten Aufzug gehemmt, die Stimme strömte nicht frei. So wie man Kaufmann kennt, erlebte man ihn erst in der Schusterstube und beim Preislied, bei dem er mit seinem einmaligen Piano auftrumpfen konnte. Den Schlussjubel des Publikums haben sie jedoch wie die übrigen Solisten verdient: der hochdifferenzierte Markus Eiche als Beckmesser, Christof Fischesser als auf Atem gestaltender Pogner, die amerikanische Sopranistin Sara Jakubiak als glockige Eva, Okka von der Damerau als Magdalene sowie der erfahrene Eike Wim Schulte als Tradition wahrender Meister Kothner.

Der vielbeschäftigte David Bösch lässt seine Meistersinger Ende der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts in Nürnberg spielen. Die Meistersinger e. V. feiern ihr 100-Jahr-Jubiläum. Als Wahrer der Kunst haben sie vieles überstanden: vom Kaiserreich über die braunen Jahre der Nazi-Diktatur bis zum Aufschwung in der Bonner Republik. Doch nun wirken sie wie ein erneuerungsbedürftiges Relikt. Nürnberg mit grauen, nach dem Krieg schnell hochgezogenen Plattenbauten wirkt gestrig. Es ist eine Stadt, in dem die bösen Geister der Vergangenheit immer noch (oder wieder) herumspuken.

Der verehrte Hans Sachs wirkt zwischen seinen Zunftkollegen offener: Mit seiner Schusterstube fährt er im Kleinbus herum. Ein festes Heim scheint er nicht zu haben, wirkt auch mit seinen fettigen, strähnigen Haaren als dem Alkohol zusprechender Außenseiter unter den Zünftlern. Sein Lehrbube David – der stimmlich prächtige Benjamin Bruns – hängt hingegen ganz den alten Idealen an. Dass von Sachs aber auch keine neuen Impulse zu erwarten sind, zeigt seine Schlussansprache auf der Festwiese. Sachs meint den Heilsbringer im Ritter von Stolzing zu erkennen. In Lederjacke und Turnschuhen hebt dieser sich von den Nürnbergern ab, aber an Meisterehren hat er kein Interesse. Von der Festwiese verschwindet er mit Eva nach dem Sieg sang- und klanglos im Silberpapierschnipsel-Regen. Das Nürnberger Publikum in Wiesnstimmung und -tracht bleibt johlend zurück, wenn die Applaus-Tafeln herumgetragen werden. Sören Eckhoff hat die Chöre des Hauses gut vorbereitet. Ähnlich wie Katharina Wagner zuletzt in Bayreuth, sieht Bösch den wahren Neuerer in Beckmesser, der bei seinem missratenen Preislied im Glitzeranzug und mit Netzshirt auftritt.

Bösch hat mit für die Meistersinger keine bahnbrechende, neue Interpretation gefunden. Seine Personenregie ist dafür sorgfältig gearbeitet, das Beziehungsgeflecht zwischen den Protagonisten deutlich. Erst bei Sachs‘ schwieriger Schlussansprache lehnt er sich mit einer eigenen Aussage aus dem Fenster: Während es auf der Leinwand im Hintergrund zu flimmern beginnt wie auf Fernsehgeräten anno dazumal und Sachs sein „Habt acht!“ anstimmt, erscheint der desillusionierte Beckmesser im Meistersinger-Ring auf der Bühne und will Sachs hinterrücks erschießen. Doch letztlich bringt er sich selbst um. Erneuerung und Fortschritt hatten in Nürnberg vor fünfzig Jahren keine Chance, womit Bösch implizit auch die aktuelle Themen anspricht.

Die Meistersinger von Nürnberg  - weitere Vorstellungen an der Bayrischen Staatsoper 22., 26., 29. Mai, 4. Juni, 28. und 31. Juli, 30. September, 3. und 8. Oktober - www.staatsoper.de

 

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