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Geflohen und irgendwie doch angekommen

REST DER WELT / STEIRISCHER HERBST / EMPIRE

19/10/16 „Dein Schicksal wollte es nicht, dass du ein schönes Leben führst“: Medea sagt das zu Jason, und sie könnte den Satz auch an Menschen richten, die in den letzten Jahren aus Syrien oder Afghanistan nach Europa geflohen sind.

Von Reinhard Kriechbaum

Und natürlich auch an solche aus allen früheren Emigrationswellen oder Einzel-Fluchten. Etwa an Akillas Karazisis, der sich vor der Militärjunta in Griechenland davongemacht hat ins Deutschland der 1968er Jahre, ins „Fassbinderdeutschland“, wie er ironisch sagt. Aus dem Studenten der Politikwissenschaft ist schließlich ein Musiker und Schauspieler geworden – so geht's halt zu, wenn man zum Spielball der Geschichte geworden ist, in welchem „Empire“ auch immer.

Schauspieler sind sie alle vier, die Milo Rau für „Empire“ auf die Bühne bringt. Zum Abschluss des „steirischen herbst“ war der eindringlich leise Zwei-Stunden-Abend am Wochenende im Grazer Schauspielhaus zu erleben, nach Aufführungen in Zürich und in Berlin. Da sitzen sie in einer schäbigen Küche: Für den Syrer Rami Khalaf und den Kurden Ramo Ali sind Bedrohung und Flucht lebendige Gegenwart, viel zu nah noch, als dass sie groß mit Pathos davon berichten wollten. Viel Zeit ist vergangen, seit Akillas Karazisis das „Empire“ als Mitglied der russischen Minorität in Thessaloniki oder in der griechischen Enklave in Odessa erlebte. Sein Blick auf ein (dann doch gut gelungenes) Leben ist schon ein fast humorvoller.

Und dann ist da noch die rumänische Jüdin Maia Morgenstern, deren Großvater in Auschwitz ums Leben kam und die unter dem Ceaucescu-Regime latenten Antisemitismus erlebt hat. Wie ideologische Geschichts-Linien weiter wirken, ist aus ihrer Biographie zu erfahren. Schauspielerischer Erfolg (sie war die Maria in Mel Gibsons „The Passion of the Christ“ und war auch im Team von Theo Angelopoulos „Der Blick des Odysseus“) kaschiert das bestenfalls oberflächlich.

Da sitzen sie also nun und erzählen. Ihre Gesichter werden wie in einem Dokumentarfilm auf eine Leinwand über der minimalistischen Szene übertragen. Es ist freilich „ihr“ Text, der aber von Regisseur Milo Rau dramaturgisch gefasst ist. Also zugleich ein Stück „Theater“. Die Erinnerung an scheinbar Beiläufiges gehört ebenso zu ihren Geschichten wie das schier Unglaubliche. Man wollte schreien, wenn einer von seiner Suche nach dem verschwundenen Bruder erzählt und davon, wie er tausende Bilder von Hingerichteten im Internet sondiert hat. Aber geschrien wird eben nicht an diesem Theaterabend: Die Text-Kompilation ist dicht, eindringlich, und nicht auf den äußeren Effekt, aufs Schockieren-Wollen hin ausgelegt. Kein Theater, das „Betroffenheit“ künstlich gerieren will – und eben deshalb wirkt es so stark.

Und noch etwas: Die beiden Europäer in der Runde haben im echten Schauspielerleben Antiken-Rollen gespielt, sie waren Medea, Jason, Agamemnon. So kommt eine ur-klassische literarische Komponente unaufdringlich ins Wort-Spiel des Selbsterlebten. Schlusssatz: „Und dann beginnt die Tragödie.“ Sind Drangsal, Flucht, Neubeginn womöglich alleweil gültige Lebensparameter? Der „Normalfall“ gar? Auch darüber denkt man nach, wenn man heimgeht von einer Performance, die ihr Publikum mit ihrer unaufdringlichen Dichte bezwingt.

Bilder: steirischer herbst / Marc Stephan / IIPM

 

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