In Wahrheit ist alles die harte Tour

GRAZ / LIEBE UND GELD

03/05/10 Mit Smirnoff hat er nachgeholfen, David, der Ehemann, als er seine Frau Jess so da liegen sah. Eine Überdosis Schlaftabletten hatte sie genommen, auf den Alkohol aber vergessen. Er hat den Vodka geholt, nicht den Krankenwagen.

Von Reinhard Kriechbaum

Die Gelegenheit war günstig, der Herzdame beim Selbstmord nachzuhelfen. Von einer Probefahrt mit einem chicken Auto war David eben heimgekommen – wohl wissend, dass er sich ob der Schulden, die seine Frau angehäuft hatte, eben ein solches Auto abschminken werde können. „Jetzt kann ich mir dieses Auto leisten!“, das ist ihm durch den Kopf gegangen, als er aus dem Selbstmordversuch einen "Selbtsmord" machte.

Aus dem Stoff ließe sich eine verbiesterte Tragödie kneten, und man könnte so heftig mit der Moralkeule schwingen könnte, dass das Publikum den Kopf einzieht. Der Londoner Dramatiker Dennis Kelly tut das nicht. Er weiß auf die tiefsten Seelenabgründe noch eine Pointe aufzusetzen, so dass der Weg zum Schmunzeln, ja sogar zum Lachen geebnet ist.

Geld ist alles. „Ich glaube nicht mehr an Gott - woran glaube ich eigentlich?“ Das fragt Val, Davids Ex-Freundin. Die Antwort kommt schnell: „An Kohle.“ So originell ist sie nicht, die Neo-Liberalismus-Kritik von Dennis Kelly. Aber sie ist dramaturgisch pfiffig und sie überrumpelt einen mit geradezu frivoler Direktheit. Die lockere Szenenfolge beginnt mit dem geschilderten Verbrechen und endet mit der Hochzeit eines glücklichen Paares. Aber nicht krebsläufig geht es dahin, sondern querfeldein. Da lernen wir Jess' Eltern als Teilnehmer einer Show „Love + Money“ kennen. Sie klagen drüber, dass der Besitzer des Nachbargrabes so richtig auf den Putz haut mit der Nekropole: „Das überschattet das Grab unseres kleinen Mädchens.“ Auf Heller und Pfennig, pardon auf den Pfund genau erfahren wir, wie teuer die Grabgestaltung ohnedies war.

Schnell ist klar: Wir haben es mit Menschen zu tun, in deren Hirnen die Zahlen langsam die Ganglien in simple Plus- und Istgleich-Zeichen verwandelt und aus deren Seelen sie allen Saft gesogen haben: „In Wahrheit ist alles die harte Tour!“ Jess war anders. Sie hat noch nachgedacht über die Welt als solche: „Was ist so schlimm dran, dass es einen Sinn gibt?“ Gut gefragt, aber dann hat es auch sie erwischt. Sie ist einkaufswütig geworden, denn sie wollte „das Leben ein bißchen so, wie es sein soll.“

Patrick Schlösser, regelmäßig Gastregisseur im Grazer Schauspielhaus (zuletzt mit Thomas Bernhards „Am Ziel“ und der Dramatisierung von Ingeborg Bachmanns „Malina“), führt uns krasse Figuren vor. Patrick Schlösser setzt auf Tempo, auf den verbalen Slapstick, und damit ist er gleichrhythmisch mit dem Text unterwegs, der ja überrumpeln will. Gerade die Gruppenszenen gewinnen dadurch sprachlich geradezu Musikalität.

Mit simpelsten szenischen Mitteln ist das Stück auf der Probebühne des Schauspielhauses umgesetzt (Bühne: Jens Burde). Ein grauer Quader kann Schreibtisch sein, eine ebenfalls graue Wand hat eine fensterartige Ausnehmung. Man kann sich das Umfeld dieser buntscheckigen Figuren, die doch nur an das Eine - das Geld - denken, ja bestens ausmalen. Patrick Schlösser sorgt dafür, dass man mit jeder Figur auch ordentlich Mitleid haben kann.

Einen grandiosen Showdown liefert Martina Stilp als Jess. In ihrem Schluss-Monolog, der nur so heraussprudelt steckt grandiose Naivität und unverblümte Einsicht. Ein Dummerchen, das die richtigen Fragen stellt und die richtigen Antworten beinahe auch gleich mitliefert. Martina Stilp hat dafür Charme, Temperament – und sie suggeriert verblüffende Denk-Unschuld.

Jan Thümer ist David, der ein wenig schlacksig herumtapst. Freilich ist auch er infiziert vom Geld-Virus. Aber „jeden Tag durch Blut waten“ ist nicht seine Sache. Er glaubt eben, nolens volens, dass es so sein muss. So einem kann man nicht bös sein, nicht einmal wenn er zum Mörder wird. Geld verdirbt den Charakter – viel weiter zielt das Stück nicht, das letztlich Boulevard bleibt, aber auch nie vorgibt, etwas anderes bedienen zu wollen).

Aufführungen bis 21. Juni. - www.buehnen-graz.com/schauspielhaus

Bilder: Bühnen Graz / Peter Manninger