Regenbögen zurück in die Konzertsäle

WIEN MODERN 30

30/10/17 Mit einer Reihe außergewöhnlicher Konzerte zum Jubiläumsjahr startet am Dienstag (31.10.) unter dem Thema „Bilder im Kopf“ die dreißigste Ausgabe des Festivals Wien Modern. Bis 1. Dezember stehen 106 Veranstaltungen in 26 Spielstätten in 11 Wiener Gemeindebezirken auf dem Programm.

Von Heidemarie Klabacher

Noch vor der Eröffnung bringt das Festival einen ersten Höhepunkt mit der Österreich-Premiere der neu restaurierten Fassung des Filmklassikers „J’accuse“ gedreht von Abel Gance 1918/1919 teils noch auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs. Die neue Filmmusik von Philippe Schoeller spielen die Wiener Symphoniker, der französische Komponist selber regelt die Live-Elektronik.

Das offizielle Eröffnungskonzert gibt am 2. November das ORF Radiosymphonieorchester Wien mit Hans Werner Henzes Revolutionsoratorium „Das Floß der Medusa“ unter der Leitung von Cornelius Meister, mit Sarah Wegener, Matthias Goerne, Sven-Eric Bechtolf und über hundert Sängerinnen und Sängern des Arnold Schönberg Chors und der Wiener Sängerknaben. Das Che Guevara gewidmete Stück rund um die Geschichte der 1816 gesunkenen Fregatte Medusa, verewigt auf dem berühmten Bild von Théodore Géricault, sorgte 1968 für einen der größten Skandale der Musikgeschichte: Die geplante Uraufführung in Hamburg ging im Tumult unter, drei Jahre später folgte die umjubelte Premiere in Wien.

„Burning Bright“ ist das erste von zwei im Festival präsentierten abendfüllenden Werken des Pariser Komponisten Hugues Dufourt. Mit hunderten von Schlaginstrumenten aus allen Kontinenten realisieren werden das Werk die Percussions de Strasbourg auf der Bühne von Enrico Bagnoli. „Ein opulenter Einstieg in die ‚Musique spectrale‘, die von Frankreich aus neue Klangfarben in die Konzertsäle brachte“, so Wien Modern in seiner Aussendung. Dufourt, einem der großen französischen Künstlerpersönlichkeiten, gilt weiters eine Führung durch das Kunsthistorische Museum, ein Abend mit dem Arditti Quartet und die Umsetzung des Tiepolo-Deckenfreskos „Les Continents“ in ein abendfüllendes Hörtheater am Schnittpunkt von Musik und Malerei.

Das Claudio Abbado Konzert stehe „ganz in der Tradition des Festivalgründers, der junge Orchester zu Höchstleistungen motivierte und spannende zeitgenössische Programme in den großen Sälen Wiens hoffähig machte“. Ein neues Orchester aus Wien und Paris präsentiert unter Leitung von Ilan Volkov das Akkordeonkonzert von Georges Aperghis und Die Überquerung des Styx nach einem Weltlandschaftsgemälde der Renaissance. Dazu präsentiert die Komponistin Iris ter Schiphorst eine Uraufführung im Umfeld des aktuellen Themas Verschleierungsverbot: Welche Bilder lösen verschleierte Frauen 2017 in den Köpfen aus? Die Sängerin Salome Kammer singt jeweils dieselben altarabischen Gedichte in einem westlichem und dann in einem arabischem Outfit.

Peter Eötvös steht bei seinem Porträtkonzert persönlich am Dirigentenpult des Klangforum Wien. Im übrigen spielen Frankreich und die besonders farbenreiche Art, dort die neue Musik neu zu erfinden, im Jubiläumsprogramm eine besondere Rolle: Musique concrète, akusmatische Musik, Live-Elektronik der atmosphärischen Art und die Musique spectrale, „mit der vor 40 Jahren Gérard Grisey, Tristan Murail und Hugues Dufourt die Sonnenuntergänge und Regenbögen zurück in die Konzertsäle brachten“. Dazu gehört auch eine Begegnung mit der - von Pierre Boulez als „Bordello music“ bezeichneten Turangalila-Symphonie des „Vorstadt-Bernini“ Olivier Messiaen mit dem ORF Radiosymphonieorchester wieder unter Cornelius Meister.

Gérard Grisey schuf als Pionier der französischen Spektralmusik ein glitzerndes, irisierendes, regenbogenbuntes Alternativmodell zur Musik der Nachkriegsavantgarde“, erinnert Wien Modern. Dessen Hauptwerk Les Espaces acoustiques live zu präsentieren hat bei Wien Modern Tradition: „Einmal pro Jahrzehnt macht das Festival das mitreißende Live-Erlebnis in Wien möglich.“

Kooperationen machen auch drei Musiktheater-Produktionen möglich. Aufsehen erregt die Uraufführung der seit den 1950er Jahren verschollenen frühen Musique de scène von Jean Barraqué. Dominique Mentha erarbeitet eine Neuinszenierung der Oper Die Antilope von Johannes Maria Staud und Durs Grünbein. Und das Ensemble Platypus und netzzeit gehen in der Reihe Out of Center an zwei Abenden An die Grenze mit ungewöhnlichen Stücken und Performances auf einem Spaziergang über die Schmelz samt Abschluss im MuseumsQuartier.

Zu weiteren fantasievollen Projekten laden junge Künstler und Ensembles an außergewöhnliche Orte wie ein Pensionistenwohnheim, einen Tischtennisraum oder das Lusthauswasser im Prater. Weitere Stichwörter neben Musik, Film, Video oder Text sind die traditionsreiche Zusammenarbeit mit dem Dschungel Wien im Programm für das junge Publikum oder Expertengespräche „Über die Zukunft“ im Dreißigsten Jahr.

Wien Modern - 31. Oktober bis 1. Dezember - wienmodern.at
Bilder: Wien Modern / GRM INA (1); Markus Skrede (1); Marco Borggreve (1); Priska Ketterer (1)