Vom Sturm hinweggefegt

OPER GRAZ / LE NOZZE DI FIGARO

13/11/17 Ein Windhauch hätte genügt. Aber es war der Sturm der Französischen Revolution, der das fragile Schloss hinweg gefegt hat – samt Graf und Gräfin und allen anderen, die da vor lauter erotischer Erregtheit die ganz andere Erregtheit – sprich die Not – der gewöhnlichen Menschen übersehen haben.

Von Heidemarie Klabacher

Graf und Gräfin Almaviva müssen blind sein, wenn sie die „Huldigungen“ ihrer hungernden Untertanen nicht als das erkennen, was sie tatsächlich sind: Letzte Warnungen vor dem Sturm, der schon demnächst eine Welt - auf jahrhundertelang missbrauchten Privilegien erbaut - hinweg fegen wird: Als erstes das Zuckerguss-Schlösschen, in welchem Herr- und gehobene Dienerschaft ausschließlich mit sich selbst und ihren amourösen Verstrickungen beschäftigt sind.

Die letzten Tage vor der Französischen Revolution bilden den realhistorischen Hintergrund von Maximilian von Mayenburgs Inszenierung von Mozarts „Le nozze di Figaro“ in der Oper Graz. Im Regiment sei grad‘ eine Offiziersstelle frei geworden, die werde Cherubino einnehmen, singt Graf Almavia, der den lästigen, schwer von der Pubertät geplagten Pagen loswerden will. Die Stelle geräumt hat ein Offizier, der im Krieg gefallen ist und auf einem Karren in den Schlosshof geschleppt wurde: Mit der blutigen Uniform statten Graf und Figaro den Knaben aus: „Cherubino auf zum Siege…“

Während im Garten getändelt wird, flackern hinter den Schlossmauern schon die Feuer der Revolution. Das zerbrechliche weiße Sperrholz-Schloss auf der von Stephan Prattes ansonsten leer und kahl geräumten Bühne, ist allein schon Symbol einer Lebensweise, die sich überholt hat, ohne es zu merken.

Diese Andeutungen auf die „Zeitgeschichte“ sind weder besonders subtil (oder gar irgendwie raffiniert chiffriert), noch besonders verstörend. Das Konzept mit der dräuenden Revolution ließe sich noch viel radikaler umsetzen auf der nach oben offenen Skala der Gräuel. Doch Ausstatter - Bühne Stephan Prattes, Kostüme Gabriele Jaenecke - und Regisseur Maximilian von Mayenburg haben klug dosiert. Mozarts „Figaro“ hatte 1786 Premiere, die Französische Revolution begann drei Jahre später und die andeutete Spannung zwischen Getändel innerhalb der Schlossmauern und Geschützdonner außerhalb ist spannungsvoll, ohne der Musik entgegenzustehen.

Marco Comin hat das Grazer Philharmonische Orchester durchaus kräftig musizieren lassen, tatsächlich da und dort, wie in den Arien des Grafen, auch ganz einfach zu laut. Insgesamt boten Orchester und Dirigent dem Vokalensemble eine farben- und facettenreiche, schwungvoll vorwärtsdrängende Basis, auf der in allen Rollen betörend schön und auf begeisternd hohem Niveau gesungen werden konnte. In Salzburg sucht man immer wieder und ganz oft vergeblich nach einem „Salzburger Mozartensemble“. Die Oper Grazer hat – zumindest für diesen „Figaro“ – ein hervorragendes „Grazer Mozartensemble“ aufgeboten.

Die Sopranistin Tetiana Miyus gestaltete ihre Rolle als Drahtzieherin und Retterin der Verliebten und Verzweifelten darstellerisch so charmant und temperamentvoll und sängerisch so betörend - mit weit gespannten Linien und lichtem farbenreichem Klang - dass man sich wieder einmal fragte, warum diese Oper nicht „Susanna“ heißt.

Als Figaro steht ihr in Peter Kellner ein sängerisch und darstellerisch ebenso temperamentvoller Streiter im Liebeskrieg zur Seite oder gegenüber. Oksana Sekerina als Gräfin, in ihren großen Arien von enthobenem Weltschmerz stilvoll gezeichnet, ergab sich in den Ensembles ganz diesseitig der Lust an der Intrige. Das Brief-Duett Susanna-Gräfin -ein bewegender strahlender Höhepunkt.

Markus Butter ist als Graf fast ein wenig zu jung, um in der Rolle des Frauenhelden darstellerisch wirklich überzeugen zu können. In den Arien hat er mit dem kräftigen Zugriff des Dirigenten am ehesten zu kämpfen. In den Ensembles legt Markus Butter freilich erst das klangvoll, federnde und facettenreiche Bass-Fundament. Anna Brull als Cherubino, Yuan Zhang als grandiose Marcellina, Wilfried Zelinka als Bartolo, dazu Lalit Worathepnitinan als Barbarina, Manuel von Senden als Basilio, David McShane als Antonio und Albert Memeti als Don Curzio – ein in allen großen und kleinen Partien überzeugendes Grazer Mozartensemble. Jubel für Leading-Team und Solisten.

Aufführungen in der Oper Graz bis 18. März 2018 - www.oper-graz.com
Bilder: Oper Graz / Werner Kmetitsch