Vertauschte Rollen im Spiel um die Macht

WIEN / STAATSOPER / SAMSON ET DALILA

14/05/18 Nach 25 Jahren ist Camille Saint-Saëns einzig noch heute aufgeführte Oper, „Samson et Dalila“ am Samstag ins Haus am Ring zurückgekehrt. In einer mehrheitlich stimmigen, repertoiretauglichen Inszenierung von Alexandra Liedtke debütierten Elīna Garança und Roberto Alagna in den Titelpartien.

Von Oliver Schneider

Camille Saint-Saëns’ zweite Oper „Samson et Dalila“ wird wellenweise auf die Bühnen der Opernhäuser gespült, wenn ein reiferer dramatisch-heroischer Tenor das Werk in sein Repertoire aufnimmt und eine jugendlich-dramatische Mezzosopranistin mit ausreichender Tiefe zur Verfügung steht. Das Libretto von Ferdinand Lemaire nach Voltaire fußt auf der im alttestamentarischen Buch der Richter erzählten Geschichte des gottgeweihten Samson, der der Philisterin Dalila aus Liebe – die Philister unterdrücken die Israeliten – das Geheimnis seiner durch Gott verliehenen Kraft verrät. Geht es in der Bibel mehr um Macht und Unterdrückung, so lenken Saint-Saëns und Lemaire den Blick stärker auf das Beziehungsdrama als Motor.

Alexandra Liedtke verortet den Abend in dunkle, zeitgeistige Räume in den beiden Rahmenakten. Um eine Rampe herum beklagen die Hebräer in Kleidern aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs ihr Schicksal, bewacht von den Soldaten der Philister in französischen Uniformen aus der Entstehungszeit (Kostüme: Su Bühler), bis ihr (fast) unbesiegbarer Held Samson sie zu mehr Vertrauen in Gott auffordert. Roberto Alagna hat die Partie des Samson zum richtigen Zeitpunkt in sein Repertoire aufgenommen, denn nur wenige Phrasen muss er sich in für ihn heute nicht mehr optimal zu erreichenden Höhen bewegen. Zugute kommt seiner Stimme auch, dass er mit geforderter heldischer Attitüde durchaus passend mehrheitlich im Mezzoforte intonieren kann. Immer noch perfekt sind die Eleganz seiner französischen Couleur, die klare Diktion und seine Strahlkraft. Bewegend gelingt ihm seine Klage „Vois ma misère, hélas!“

Samsons Verrat aus blindem Vertrauen und Sieg seiner Liebe zu Dalila über die Ratio findet in Wien in einem klassizistischen, weißen Boudoir mit einer überflüssigen Badewanne in der Mitte statt (Bühne: Raimund Orfeo Voigt). Die Regisseurin bemüht sich in dem opernhaft-dramatischeren zweiten Akt – im Vergleich zu den oratorienhaften Rahmenakten – um eine psychologische Durchleuchtung der Personen, die zwischen Liebe, Hass und Verantwortung für die Schicksale ihrer Völker hin- und hergerissen werden. Im zentralen Duett zwischen Samson und Dalila würde man sich diesen Ansatz aber ausgeprägter wünschen.

Gut und einfach hat sich Liedtke entschieden, Dalila im vorhergehenden Gespräch mit dem Oberpriester in ihrem Zwiespalt in einem Spalt respektive einem Türrahmen zu zeigen. Carlos Álvarez gibt den eigentlichen Machthaber der Philister unerbittlich und mit metallischer Härte in der Stimme. Elīna Garança als Dalila ist das dritte Zugpferd des Abends und überzeugt bei ihrem Debüt mit leuchtender Emphase, vokaler Fülle und perfektem Legato. Ein großer Teil der Partie liegt allerdings in der unteren Mittellage, in der ihre Stimme leider (noch) zu wenig trägt. Besonders deutlich tritt dieser Mangel in ihrer ersten Arie „Printemps qui commence“ hervor. Hinzu kommt, dass sie darstellerisch eher die kühle Strategin ist und zu wenig sinnlich wirkt. Könnte diese Dalila tatsächlich Samson mit ihren weiblichen Reizen überzeugend zur Preisgabe seines Geheimnisses verleiten?

Im dritten Akt wird der geblendete Samson schließlich wie ein gezähmtes Tier einer Partygesellschaft als Attraktion vorgeführt. Der Oberpriester verhöhnt den scheinbar Kraftlosen mit seinem „Salut au juge d’Israël“, während Dalila die Huldigungen der Abendgesellschaft entgegennimmt. Im Bacchanale erzählt Choreograph Lukas Gaudernak noch einmal Dalilas Sieg über Samson und lässt sie zum Schluss triumphierend Samsons abgeschnittene Haare umherwirbeln. Wenn Samson schließlich noch einmal von Gott erleuchtet wird und seine alte Kraft zurückgewinnt, entpuppt sich sein zusätzliches Alter Ergo als Selbstmordattentäter und überantwortet sich sowie die Philister den Flammen, womit die zeitliche Aktualität wiedergegeben ist.

Der vierte Protagonist des Abends sind die Hebräer und die Philister (der hervorragend vorbereitete Staatsopernchor von Thomas Lang). Marco Armiliato weiß sowohl in den oratorischen, äußeren Akten als auch im dramatischen Mittelteil Spannung mit flüssigen Tempi aufzubauen und auch die plakativen Effekte der Musik – wie im Bacchanale – auszukosten. Gemeinsam mit den differenziert und konzentriert folgenden Musikerinnen und Musikern des Staatsopernorchesters holt er das Maximum aus der Orchesterpartitur heraus.

Aufführungen bis 28. Mai – www.wiener-staatsoper.at
Bilder: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn