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Halt Dein Holz trocken!

GRAZ / STEIRISCHER HERBST / MANARAGA

10/10/19 Zander natur auf „Meister und Margarita“ von Bulgakow. Oder Gefüllte Hühnerhälse auf der „Geschichte von Odessa“ von Isaac Babel. Das wäre schon was für Feinspitze in einer, wenn man's genau misst, gar nicht so fernen utopischen Zukunft.

Von Reinhard Kriechbaum

2037 lässt Vladimir Sorokin seinen Roman „Manaraga“ spielen. Viel ist geschehen bis dahin, zum Beispiel wurde eine islamische Revolution niedergeschlagen. Die politischen Verhältnisse in Europa scheinen desaströs zu sein. Aber davon erfahren wir in dem surreal konstruierten Text herzlich wenig, denn da geht es ja um den Haut Gout: den literarischen und den kulinarischen. Eine Gruppe halb kriminell organisierter Köche befeuert in einer Zeit, da die Digitalisierung gedruckte Bücher längst obsolet gemacht hat, ihre Speisen mit echter Literatur: Corned Beef gegart auf „Ein grüner Junge“ von Dostojewski. Analoger geht nicht.

Die in Basel und Wien lebende, aus Ungarn stammende Regisseurin Blanka Rádóczy hat in Graz – für eine gemeinsame Produktion von Steirischem Herbst und Schauspielhaus – Sorokins Koch-Roman auf die Bühne gebracht, genauer: für die ersten drei Aufführungen ins Barockambiente eines Innenstadtpalais. Hier hat ein Teil des Publikums das Privileg, an einer großen u-förmigen Tafel Platz zu nehmen. Alles potentiell Mitverschworene in jenem „Konzil“ der Meisterköche, auf dem Krisenhaftes zu klären ist: In ihren Reihen ist einer, der mittels einer „Molekularmaschine“ tief im Berg Manaraga (im Ural-Gebirge) ein Buch massenweise klont und damit das kulinarische Erfolgsmodell „Book'n'Grill“ gefährdet. Da ist mit dem verschwörerischen Gruß unter Kollegen, „Halt Dein Holz trocken!“, nicht mehr viel auszurichten.

Mathias Lodd ist Geza, ein kochender Arbeitsmigrant modernen Zuschnitts, aus dessen Perspektive der Roman aufgeblättert wird. Geza plaudert und plaudert, und da bedarf es außer dem Rotstift gar nicht so entscheidender Eingriffe in den Romantext. Lukas Walcher ist ihm ein beweglicher und präsenter Stichwortbringer, vor allem als Floh. In „Manaraga“ sind ja die Meisterköche insofern ihres freien Willens beraubt, als Flöhe für ihr Fortkommen sorgen – gebetene und ungebetene Diener zugleich. Ein Schelm, dem dazu ins Gehirn eingesetzte Platinen und Microsender einfallen...

Das ist der postmoderne Erzähltrick von Vladimir Sorokin: Er entwirft seine surrealen Szenerien mit altmodischen, analogen Versatzstücken. Die unangenehmen Hinweise auf menschliche Schwächen, auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen kommen fast verspielt, wie durch imaginäre Seitentüren daher. Dazu fällt einem als Leser/Theaterbesucher immer etwas ein. Der Autor lässt seinem Rezipienten einen Gedanken-Vorsprung, und das ist eine seltene Tugend in der heutigen Literatur- und Theaterwelt, die nicht ungern vordenkt und bevormundet.

Genau diese Eigenschaft erhält auch Blanka Rádóczy in ihrer Bühnenfassung. In knackigen Szenen erleben wir eine Welt der Decadence. Aus Gezas Mund kommen, eingeköchelt natürlich gegenüber der Vorlage, die vielen kleinen Bosheiten, die kräftigeren Seitenhiebe und (seltener) die vehementen Ausritte: Seine kulinarische Kundschaft bestehe aus Gangstern, Deppen und Romantikern, sagt Geza einmal. Leute jedenfalls, die im Regelfall weder Koch- noch Buchkunst recht zu würdigen wissen und die Kombination aus beidem eher als modischen Event mit Spaßfaktor erleben. Das Wort „genießen“ wäre jedenfalls zu hoch gegriffen.

Das modischen Verhalten, kurzfristig, wankelmütig, ausgedacht und zielstrebig gelenkt von Geschäftemachern: Darüber macht Vladimir Sorokin sich unverhohlen lustig. Im Showdown findet er zu einer originellen Lösung: das geklonte Buch, plötzlich wieder tauglich zur „demokratischen“ Massenware? Es wäre nicht Sorokin, wenn die Lösung so geradlinig und unanfechtbar wäre....

Die Inszenierung von Blanka Rádóczy ist völlig uneitel, kommt mit wenig Utensilien aus. Fast denkt man mehr an pfiffiges Storytelling denn an Theater. Mit Fingerschnipsen starten und beenden die beiden Schauspieler die Szenen, es bleibt viel Raum für Imagination.

Aufführungen am 11. und 12. Oktober im Grazer Museum für Geschichte (Sackstraße), danach bis 19. November im Schauspielhaus, Haus drei – www.steirischerherbst.at; www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Schauspielhaus Graz / Johanna-Lamprecht

 

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