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Das Liebesgeständnis bei den Mülleimern

WIEN / STAATSOPER / LA TRAVIATA

08/03/21 Alfredo sitzt am Laptop. Violetta chattet am Handy, während sie am Kebap-Stand steht. So geht Kommunikation im 21. Jahrhundert – und wer weiß: Hätte Giuseppe Verdi La Traviata rund 170 Jahre später geschrieben, vielleicht hätte er die nötige Twitter- oder Facebook-Knappheit der Liebesbotschaften sogar irgendwie einkomponiert.

Von Reinhard Kriechbaum

La Traviata ist eine hochemotionale, aber knackige Oper, und gerade deshalb geht das Regiekonzept von Oliver Stone ganz wunderbar auf. Violetta, eine durch und durch öffentliche Person, kann sich (wir erfahren das schon in der Ouvertüre) vor Followern kaum retten. Es sind Millionen. Mit den echten Begegnungen ist's, trotz allerlei Feten, gar nicht so weit her. Alles sehr oberflächlich. Alfredo bekundet seine Liebe das erste Mal – wie romantisch! – in einem Hinterhof, umgeben von Müllkübeln. Da schon besser das Liebesduett im Livechat...

Toll, welch schlüssige, unprätentiöse Bilder Oliver Stone für diese „unmögliche“ Liebe findet. Wie im echten virtuellen Leben erzählt man sich im Chat doch nicht alles. Dass Violetta totkrank ist (Krebs!), behält sie wohlweislich für sich. Wie viele junge Menschen tauscht sie schließlich die Glamour-Existenz im Netz nur zu gerne gegen echtes Leben ein: Im zweiten Akt schupft sie Heuballen auf den Traktor, während Alfredo im Holzzuber bloßfüßig Trauben stampft. Père Germont seinerseits sieht gerade durch die Facebook-Öffentlichkeit den Ruf seiner Familie in Gefahr und ahnt knallige Schlagzeilen im Boulevard voraus.

Auf der Zeitgeist-Ebene lässt sich La Traviata erstaunlich ungekünstelt erzählen. Ein Würfel auf der Drehbühne gibt genug Projektionsfläche für Kurzbotschaften, die dem Libretto nicht zuwiderlaufen. Der Würfel (Bühnenbild Bob Cousins) ist zugleich ein weißer Guckkasten, wo Szenen mit ganz wenigen Ausstattungsstücken imaginiert werden. Herzzerreißend der Finalakt auf der Palliativstation. Violetta reißt sich die Kanüle aus dem Arm, durchlebt nochmal die Erinnerung. Klar, dass Alfredo und sein Vater völlig unbeholfen da stehen, wie Beobachter eines plötzlich zur Reality mutierten Dramas. Und so stirbt Violetta auch nicht in Alfredos Armen. Oliver Stone lässt sie durch einen Wandspalt in ein lichtdurchflutetes Jenseits schreiten. In eine vielleicht wirklich bessere irreale Welt.

Spätestens in diesem dritten Akt läuft die Südafrikanerin Pretty Yende in der Titelrolle zu guter Form auf, wenn es auf Role models im Sängerinnen-Parnass (bleiben wir doch bei diesem Wort aus der modernen Kommunikation) schon noch im Detail fehlt. Ihre Stärken liegen in der lyrischen Kantilene. Ungleich differenzierter Juan Diego Flórez, der gegenwärtig wohl denkbar beste Alfredo in Bühnenpräsenz und Ausdrucksintensität. In diesem Ambiente passt auch Igor Golovatenko als Vater Germont: Wie geht einer der älteren Generation mit den jungen Facebook-Existenzen um? Etwas steif, distanziert. Es liegen Welten zwischen ihm, seinem Sohn und Violetta.

Giacomo Sagripanti dirigiert, stilkundig und sängerfreundlich, ohne nun gestalterisch besonderes Charisma heraus zu stellen. Die stärksten Eindrücke dieser auf ORF III live übertragenen Wiener Premiere (jene im Pariser Palais Garnier durfte Mitte September des Vorjahres vor Publikum stattfinden) kommen von der Szene. So zeitgemäß Simon Stone die Handlung fasst, sind nicht nur Synchronisation mit der Musik, sondern auch die Gewichtung außerordentlich gut gelungen. Und wirklich: Auch zwischen projizierten Chat-Botschaften greift Violettas Schicksals unmittelbar ans Herz. Wie es sich eben gehört.

Eine Woche zum Nachholen in der tvthek.orf.at – Das Programmheft online – www.wiener-staatsoper.at
Bilder: Filmstills

 

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