Mahler in unerhört neuem Gewand

REST DER WELT / TIROLER FESTSPIELE ERL

22/07/10 Einige Streiflichter auf die Konzerte bei den Tiroler Festspielen Erl: Franui mit seinem neuen Mahler-Programm, ein Schumann-Liederabend mit Gertrud Ottenthal und Michael Kupfer und die Chorakademie der Tiroler Festspiele mit einer Mozart-Blütenlese.

Von Jörn Florian Fuchs

Die Tiroler Musicbanda Franui hat sich nach Schubert und Brahms nun Mahler verschrieben - wie immer mit Haut und Haar und diversen (un)möglichen Instrumenten. Puristen mögen sich fragen, ob man die melancholisch getränkten Kunstlieder unbedingt mittels Harfe, Hackbrett, Zither, Akkordeon sowie ein paar Streich- und diversen Blasinstrumenten bearbeiten muss. Man muss nicht, aber man kann. Franui jedenfalls können es, zumindest weitgehend.

Schon der Auftaktsong „Wenn man Schatz Hochzeit macht“ führt virtuos hohe Klangrede mit einem geerdeten Volksliedton zusammen. Die Nebel verhangene Stimmung grundiert auch die folgenden Stücke, wobei man sich dann ausgerechnet bei einem der poetischsten Rückertlieder („Ich atmet’ einen linden Duft“) plötzlich wie in einer Lounge fühlt, so locker und leicht schwirren da die gesungenen Düfte durch den Raum. Die Entspannung verfliegt freilich rasch, als bald darauf über „Das irdische Leben“ nachgedacht wird. Franui-Chef Andreas Schett, der auch singt und trompetet, streut immer wieder skurrile Gedankensplitter ein.

Der zweite Teil dieser Matinee steigerte die musikalische Temperatur deutlich, weil Mahler nun öfters verjazzt wurde. Als Kontrast steuerte der wunderbare Bariton Daniel Schmutzhard Berückendes bei, er kam aus dem Publikum auf die Bühne, ließ sich dort in tiefste Glaubenszweifel fallen („Um Mitternacht“), äußerte sich eher abfällig über das Militär („Revelge“) oder kam der Welt gleich ganz abhanden.

Ganz so spektakulär ist es ja eigentlich nicht, Schumanns Liederkreis und Dichterliebe aufzuführen, das gibt es landauf landab öfters. Aber auf derart hohem Niveau wie in der Erler Pfarrkirche mit Gertrud Ottenthal und Michael Kupfer hört man die beiden Zyklen wirklich selten. Gertrud Ottenthal gab in Erl mehrfach eine phänomenale Sieglinde und auch ihr Liederkreis setzt Maßstäbe. Sie und ihr charmanter Piano-Begleiter Jeanpierre Faber führen uns galant an der Hand durch zwölf Eichendorff-Landschaften. Ottenthal verleiht mit ihrem unangestrengten, überaus präsenten Sopran jeder ‚Station’ eine spezifische Atmosphäre und legt deren inneren Kern frei.

Auch Michael Kupfer, das baritonale Erler Urgestein, durchlebt regelrecht Schumann/Heines Dichterliebe und verzichtet dabei auf jegliches Pathos. Selbiges ist bei Schumann zwar angelegt, wird aber oft gebrochen durch kräftige Ironie. Die letzten beiden Stücke „Aus alten Märchen“ und „Die alten, bösen Lieder“ stellen gar einen direkten Bezug zu Schönbergs „Pierrot lunaire“ und den bissigen Songs von Georg Kreisler her …

Michael Kupfer besitzt immenses vokales Charisma, auch bei ihm rundet sich alles zum Gesamtkunstwerk. Davide Cabassi begleitet nicht nur, der Pianist macht aus jeder noch so kleinen Phrase eine echte Pretiose. Alles in allem: ein Ereignis, das weit über Erl hinausstrahlt und sicher so manchen hochpreisigen Liederabend an der Salzach und anderswo matt aussehen lässt.

Die Chorakademie der Tiroler Festspiele auf dem Podium: Sie brachte unter anderem ein Bündel Kanons von Mozart zum Klingen und Schwingen. Die vorwiegend kurzen Stücke bestechen durch ihre scheinbare Leichtigkeit, dennoch sind sie ziemlich komplex gebaut. Auch eine Reihe von Notturni, die der Salzburger mit reichlich Italianità versah, überzeugte. Und als dann noch ein Magnificat des jungen Italieners Girolamo Deraco zur Uraufführung kam, da boten Chor und Solisten eine wahre Meisterleistung. Deracos Partitur verlässt zwar kaum ein nur wenig erweitertes tonales Spektrum, aber vieles ist arg verschachtelt, mit schnellen Tempiwechseln versehen und alles andere denn mal eben so herunter singbar. Die Zugabe schließlich, Mozarts Ave verum corpus, könnte man so direkt auf CD herausbringen.

Also alles im Lot? Leider nicht ganz, denn mit Monteverdi-Madrigalen hat man sich dann doch auf Glatteis begeben.